Kafkas Technik

Autor: Sabrina Skrzypczak

Zeitung: 2014/2

Rubriken: Germanistik, Kultur, Studium

Franz Kafka ist wohl einer der bekanntesten deutschsprachigen Autoren des vergangenen Jahrhunderts. Kafka war eine sehr komplexe Persönlichkeit und dies spiegeln auch seine Werke wider. Jahrzehntelang wurden sie in unterschiedlichster Weise zu entschlüsseln versucht; eine sowohl interessante als auch anspruchsvolle Angelegenheit, schließlich geben seine Erzählungen Raum für vielfältige Deutungen. Dabei boten sich neben biographischen Interpretationsansätzen immer wieder auch religiöse, gesellschaftskritische sowie semiotische Deutungsmethoden an, sogar im surrealistischen Kontext wurden seine Erzählungen betrachtet, um weitere Zugänge zu finden.

Der kürzlich erschienene dritte Band der Kafka-Biographie von Reiner Stach war Anlass genug, um diesen Autor wieder vermehrt in das Bewusstsein der Leser zu rufen. Sogar der Spiegel widmete ihm sein Titelblatt: Unter der Schlagzeile „Der Dichter unserer Zukunft“ wird Kafka als Schriftsteller betrachtet, der bereits vor 100 Jahren die Macht der heutigen Technik erahnt hat. Und ganz falsch liegt man mit diesen Überlegungen nicht.

Im Rahmen seiner Vortragsreihe hielt Prof. Dr. Peter J. Brenner von der Technischen Universität München am Abend des 30. Oktobers einen kurzweiligen Gastvortrag mit dem Titel „Kafkas Technik“. Er erläuterte anhand verschiedenster Beispiele aus dem Werk Kafkas, dass Technik auch als Instrument zur Entschlüsselung dessen Texte dienen kann.

Die Auseinandersetzung mit der Technik in diversen Erzählungen des Autors ist ein noch relativ junges Thema. 1984 erschien die erste Ausgabe „Amtliche Schriften“, die Zeugnis von Kafkas beruflicher Tätigkeit ablegen. Darüber hinaus ist Technik aber auch ein Bestandteil vieler weiterer seiner Schriften, bis jetzt wurde dem jedoch nicht genügend Beachtung geschenkt.

Kafka ist als einziger Autor der neueren deutschsprachigen Literatur zu nennen, der sich intensiv mit der Technik seiner Zeit und mit dem unaufhaltsamen Fortschritt eben dieser befasst hat. Die Ausgangsvoraussetzungen dafür waren naheliegend und günstig: Der Technikaffine Schriftsteller lebte in Prag, der damaligen Hauptstadt Böhmens, in welcher seinerzeit der stärkste technische Fortschritt der Region zu verzeichnen war. Zudem war Kafka niemals hauptberuflich Schriftsteller gewesen. Dieser Tätigkeit ging er in seinen freien Stunden nach. Er hatte Jura studiert und arbeitete viele Jahre bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt für das Königreich Böhmen in Prag. Seine dortige Tätigkeit erforderte genaueste technische Kenntnisse, war er doch für die Unfallverhütungsvorschriften in Fabrik- und Industriegebäuden zuständig. Somit erlangte er bei seiner Arbeit tiefe Einblicke in die Welt der Technik und diese wurde wiederum fester Bestandteil seiner literarischen Tätigkeit. Er hatte sich zudem berufsbedingt auch einiges an technischem Verständnis angelesen und entwickelte einen Blick für das Außergewöhnliche dieser Neuheit. So fanden Orte seines beruflichen Lebens Einzug in seine Bücher. Doch nicht nur die Industrietechnik wurde von ihm thematisiert. Einen ersten technischen Bericht zu einer Flugzeugshow, betitelt als „Die Aeroplane von Brescia“, verfasste er bereits im Jahr 1909. Dies war der erste Text eines deutschsprachigen Schriftstellers über Flugzeuge, zu einer Zeit, in der die Flugtechnik noch in den Kinderschuhen steckte.

Auch die moderne Kommunikation entzog sich nicht seiner Aufmerksamkeit. Die Aufgabe und Funktion von Technik als Mittel der Kommunikation wurde ebenfalls von ihm aufgegriffen und in einer seiner Erzählungen auf kafkaeske Art und Weise genauer betrachtet:

„Im Schloß funktioniert das Telephon offenbar ausgezeichnet; wie man mir erzählt hat wird dort ununterbrochen telephoniert, was natürlich das Arbeiten sehr beschleunigt. Dieses ununterbrochene Telephonieren hören wir in den hiesigen Telephonen als Rauschen und Gesang, das haben Sie gewiß auch gehört. Nun ist aber dieses Rauschen und dieser Gesang das einzige Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telephone übermitteln, alles andere ist trügerisch.“ (Im Schloss/ 1922)

Schließlich führten alle Betrachtungen zu einem gemeinsamen Punkt und tatsächlich zu einem gar nicht so unpopulärem Thema: Wie ist das Verhältnis von Mensch und Maschine? Wo stehen wir, wenn die Technik versagt? Und wo, wenn sie funktioniert?

Schon in einer 1914 entstandenen Erzählung durften Kafkas Leser den forschungsreisenden Protagonisten bei seiner Besichtigung der technischen Mittel „In der Strafkolonie“ begleiten. In dieser Geschichte wird Technik zur Herrschaftsausübung genutzt, ist ein Folterinstrument in den Händen derer, die zu Macht gelangten. Der in dieser Erzählung beschriebene „Apparat“ ist ein Hinrichtungsmechanismus, der dem Sträfling seinen Schuldspruch einbrennt. Dem Beherrschten wird ein Zeichen maschinell eingebrannt, seine Schuld wird ‚niedergeschrieben‘.

Erst viele Jahre später wurde die präzise von Kafka beschriebene Apparatur tatsächlich entdeckt. In kleinerer Version, doch ebenfalls dazu geschaffen Menschen maschinell zu erfassen: eine Hollerithmaschine. Das Hollerith-Lochkartenverfahren wurde zur statistischen Datenverarbeitung genutzt. In den 1880er Jahren erfunden wurde dieses Gerät 1890 zur amerikanischen Volkszählung eingesetzt, einige Jahre später zum selben Zweck in der Österreich-Ungarischen Monarchie verwendet. Hier wurden Menschen zu Daten gebündelt und in Statistiken umgewandelt. Kafka kannte diese Maschine wohl schon aus Statistik-Vorlesungen seiner Studienzeit. Bearbeitet der eine Apparat lediglich Lochkarten, so der andere imaginäre Menschen. Individuen und Datensätze werden gleichgesetzt. Die Technik funktioniert. Die Technik triumphiert.

An diesem Abend hat sich dem Zuhörer eine neue Sichtweise auf Kafkas Welt, ein neuer Zugang zu seinem Nachlass geboten.

Kafka hat Technik misstraut. Vielleicht, weil er sie verstanden hat.

Und nach diesem informativen wie auch unterhaltsamen Vortrag blieb Prof. Brenner nur noch Folgendes zu sagen:

„Diesen Kafka sollen wir ernst nehmen. Diese Betrachtungen führen in das Werk von Kafka und zu seinem Selbstverständnis.“

 

 /Sabrina Skrzypczak/

Prof. Dr. Peter J. Brenner studierte Philosophie, Germanistik, Komparatistik und Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn. Er promovierte 1979 mit einer Arbeit über den Roman der Aufklärung und habilitierte 1986 an der Universität Regensburg mit einer Arbeit über Reiseberichte deutscher Amerika-Auswanderer im 19. Jahrhundert.1990/91 Heisenberg-Stipendiat an der Universität Bayreuth.

1991 bis 2009 Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Köln.

2009: Wechsel an die Technische Universität München.

Seit Sommer 2014: Direktor des Archivs der TU München.

 

 

Bildquelle:

www.tagesanzeiger.ch