Der Erzähler eines Selbstmordes

Autor: Krisztina Mária Zámbó

Zeitung: 2014/2

Rubriken: Freizeit, Kultur, Rezension

„Der Selbstmord sprach für sich, er brauchte keine Stimme, und er brauchte keinen Erzähler.“ Dieser Satz steht auf Seite 30 und kehrt auch später zurück in dem neuesten Roman des Schweizer Dramatikers Lukas Bärfuss Koala. Erschienen ist das Buch im Jahre 2014 beim  Wallenstein Verlag, es wurde mehrmals ausgezeichnet (u. a. mit dem Schweizer Buchpreis) und auch für den Deutschen Buchpreis nominiert. In diesem Roman behandelt Bärfuss das Tabu-Thema Selbstmord.

Bärfuss bespricht in diesem Roman mehr als nur den Selbstmord seines Bruders. In dem Monolog des Ich-Erzählers kommen autobiographische Elemente vor. Am Anfang der Geschichte kehrt der Autor in seine Heimatstadt Thun zurück und hält einen Vortrag über „einen deutschen Dichter […], der zweihundert Jahre früher, an einem Tag im November, am Wannsee in Berlin eine Mulde gesucht und danach seiner Freundin Henriette Vogel ins Herz und schließlich sich selbst eine Kugel in den Rachen geschossen hatte.“ Nach dem Vortrag trifft Bärfuss seinen Bruder, der seine Heimatstadt noch nie verlassen hat. Die Nachricht über den Selbstmord des Bruders erreicht ihn kurz vor Weihnachten. Er lässt seiner Trauer, besser gesagt seinen Gedanken freien Lauf und stellt über das Gefühl des Verlustes hinaus die Entdeckung von Australien und die Geschichte des Tieres im Titel dar. Auf diese Idee brachte ihn der Spitzname seines Bruders. Er konnte sich nie erklären, warum sein Bruder von Freunden Koala genannt wurde. Ob der (Spitz)Name das Leben eines Menschen zu beeinflussen vermag? Er legt das „Ritual“ dar, wie und wann sein Bruder den Namen ‚Koala‘ erhielt und wie unzufrieden er damit war.

lukasbaerfusscopyrightfredericmeyer-3  Lukas Bärfuss (Foto: Frederic Meyer)

Der Verlust des Bruders fungiert als Rahmengeschichte, in dem Hauptteil lesen wir eine Art Natur- bzw. Zivilisationsgeschichte. Jeder, der nicht weiß, wie Australien und seine Population entdeckt wurden, kann es aus diesem Buch erfahren. Alles schön chronologisch aufgezählt, als ob man ein Tagebuch läse.koala_cover

Schwerwiegende Probleme, Selbstmord und die Vernichtung der alten Zivilisation bzw. die Ausrottung von Tieren sind in diesem kleinen grünen Buch reflektiert. Bärfuss arbeitet, spielt mit den Wörtern und mit der Sprache. Er versucht das Schweigen über Selbstmord zu brechen. Er sucht bei römischen Philosophen, bei „fleißige[n] Nervenärzte[n]“ und auch in jenem „famosen Kompendium“ nach einer Antwort, doch ohne Erfolg. Alles wird nur schlimmer dadurch, dass der Bruder keinen Abschiedsbrief hinterlassen hat. Auf den ersten Blick könnte man sagen, dieser Roman hat alles, was man von einem erwarten kann. Traurigkeit, Neugier, Rätsel, Aufregung und ein bisschen schwarzen Humor.

Bärfuss spricht etwas aus, wozu die meisten kaum Mut haben: „Die Frage lautete nicht, warum hat er sich umgebracht? Die Frage lautete: Warum seid ihr noch am Leben? Warum nehmt ihr jetzt nicht gleich den Strick, das Gift oder den Revolver, warum öffnet ihr nicht das Fenster, jetzt gleich?“ (S.170)

 

/Krisztina Zámbó/

 Lukas Bärfuss: „Koala“

184 S., geb., Schutzumschlag

ISBN: 978-3-8353-0653-0 (2014)

Wallenstein Verlag, Göttingen 2014

http://www.wallstein-verlag.de/

 

Quelle des Beitragsbildes: www.acuteaday.com

Quelle der Fotos:

http://www.lukasbaerfuss.ch/downloads/

und

Krisztina Zámbó