Interview mit zwei Erasmus-Studentinnen, die das Wintersemester 2014/2015 in Szeged verbringen.
Shangpin Liu, studiert Deutsch als Fremdsprache im Masterstudium an der Technischen Universität Berlin und davor schloss sie ihr Bachelor in China ab. Sie kommt aus Ruijin, einer Stadt in Südchina .
Sophia Matteikat, eine Studentin der Finnisch-ugrischen Philologie (Finnugristik) mit Schwerpunkt auf der ungarischen Sprache aus Mecklenburg-Vorpommern, besucht Szeged, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Sie macht ihr Masterstudium an der Uni Göttingen.
Shangpin, wieso hast du dieses Land und diese Stadt als Zielort deines Stipendiums gewählt?
Es gab nicht so viele Möglichkeiten, woraus ich hätte wählen können. Meine Uni hat nicht so viele Partneruniversitäten; ich hätte noch nach Tschechien gehen können, aber es liegt zu nah zu Berlin und ich wollte etwas wirklich Anderes probieren.
Ich hoffe, es war kein großer Kulturschock für dich, nach Ungarn zu reisen. Konntest du dich schnell hier eingewöhnen?
Ungarn war zum Glück kein Kulturschock für mich, weil ich schon in einem anderen europäischen Land gelebt habe. Ich habe Ähnlichkeiten zwischen Ungarn und Deutschland entdeckt, zum Beispiel die Verkehrsregeln oder das Essen finde ich ähnlich.
Hier in Ungarn finde ich die Leute sehr freundlich. Immer, wenn ich Hilfe gebraucht habe, wurde mir gerne geholfen. Die einzige Schwierigkeit habe ich mit den Verkehrsmitteln. Die Verkehrsverbindungen kenne ich hier nicht und das Internet hilft auch nicht so viel wie in Berlin.
Warum hast du damit begonnen, die deutsche Sprache zu erlernen und dann Germanistik zu studieren?
Ich wollte schon von Anfang an eine Fremdsprache studieren. Ich habe noch an Englisch gedacht, aber ich habe mich mit dieser Sprache schon sehr lange beschäftigt, deshalb wollte ich sie nicht auch noch studieren. Sonst wird sie von vielen in China auf hohem Niveau gesprochen. Also habe ich einfach eine andere Fremdsprache gewählt, die nicht viele sprechen.
Ist Deutsch ein populäres Fach in deinem Land? Ist es einfach, nach dem Studium einen Job zu finden?
In meinen Jahrgang gab es 79 Germanistikstudenten. Wir wurden in zwei Klassen geteilt. Im nächsten Jahrgang waren es nur noch ungefähr 55 Leute. Im übernächsten Jahrgang waren noch weniger als 50 Leute. Solche Fächer wie Germanistik werden in meinem Land kalte Fächer genannt, im Gegensatz zu sehr populären, heißen Fächer wie z.B. Jura.
Ich denke, es ist ziemlich leicht, nach dem Studium einen Job zu finden. Auch ich habe schon ein Jahr nach dem Bachelor Studium in Shenzhen, in einer größeren Stadt in der Nähe von Hong Kong gearbeitet und soviel ich weiß, es konnten auch meine ehemaligen Kommilitonen eine Arbeit finden. Während dieses Jahres habe ich die E-Mail-Korrespondenz mit den deutschen Kunden einer Firma gehalten, die sich mit Auslandshandel beschäftigt. Das war aber eine monotone Arbeit, wo man seine Kreativität gar nicht entfalten kann. Deshalb habe ich lieber mit dem Masterstudium in Berlin angefangen.
Was für Unterschiede hast du während deiner Studien in China, Deutschland und in Ungarn entdeckt?
In meinem Land kann man Germanistik ohne Vorwissen über die deutsche Sprache beginnen. Das Bachelor Studium dauert in China generell vier Jahre lang (mit Ausnahme einiger Fächer wie Medizin oder Architektur), die ersten Semester dienen im Falle der Germanistik zum Beispiel dem grundsätzlichen Spracherwerb. Auch ich begann erst an der Uni Deutsch zu lernen. Deshalb ist Germanistik in China eher ein Sprachkurs; in den ersten zwei Jahren haben wir nur Deutsch gelernt. Die deutsche Sprache wird nur an Hochschulen unterrichtet, genau deshalb gibt es nicht so viele in China, die Deutsch können, aber immer mehr Leute lernen jetzt diese Sprache. Wir studierten nicht so viel Literatur wie die Studenten in Ungarn, die Kurse schienen mir zu grammatikorientiert und das freie Sprechen übten wir nicht viel. Deshalb haben die Germanistikstudenten in Ungarn einen großen Vorteil, weil sie schon im ersten Studienjahr deutsche Literatur lesen können.
Das Masterstudium in Deutschland finde ich wenig stressiger als das Masterstudium für die späteren Lehrer in Ungarn. Diejenigen, die die deutsche Sprache später unterrichten möchten, sollen wöchentlich mehr als 20 Kurse besuchen. Für mich waren schon neun Kurse im ersten Semester in Deutschland stressig genug und ich kann es mir nicht vorstellen, wie man es hier schaffen kann. Also habe ich das Gefühl, dass die Studenten in Ungarn mehr lernen müssen als wir in Deutschland.
Musst du auch ein wenig Ungarisch lernen?
Für mich ist es keine Pflicht, Ungarisch zu lernen, trotzdem mache ich das, weil ich momentan hier lebe und die Sprache und das Land ein bisschen kennen lernen möchte. Deshalb habe ich die Kurse Ungarische Sprache und Ungarische Kultur belegt. Die Sprache selbst finde ich schwierig (besonders die Aussprache), vielleicht, weil ich nicht viel Zeit dafür habe. In Kultur haben wir schon über die Geschichte, Geographie und über die Verwandtschaft mit den anderen finno-ugrischen Sprachen gelernt.
Im Rahmen dieser Veranstaltung habe ich viel auch über die ungarische Ausbildung und das Schulwesen erfahren. Ich denke, es gibt hier höhere Anforderungen als in meiner Provinz Jiangxi, wo man dazu nicht an einer Universität studieren muss, im Kindergarten oder in der Grundschule unterrichten zu können. Aber von den Lehrern der Mittel- und Oberschulen wird schon erwartet, studiert zu haben.
Die Bildung in China ist auch anders als in Ungarn. In meiner Provinz besucht man die Grundschule zwischen dem sechsten und zwölften Lebensjahr. Dann kommt die Mittelschule im Alter zwischen zwölf und fünfzehn und danach die Oberschule bis zum achtzehnten Lebensjahr. Danach kann man an einer Universität studieren. Beim Bachelor-Abschluss sind wir in der Regel schon 22 Jahre alt. Was den Fremdsprachenunterricht in China betrifft, es ist obligatorisch in der Mittel-, und Oberschulen Englisch zu studieren, weswegen diese Sprache von vielen auf einem hohen Niveau gesprochen wird.
Was für Reisepläne hast du für die Zeit in Ungarn?
Dafür hatte ich bisher keine Zeit. Aber ich möchte noch Städte wie Budapest besuchen und, wenn ich es schaffen kann, auf die Balkan-Halbinsel eine Reise machen. Und während meiner Rückkehr nach Berlin möchte ich die Sehenswürdigkeiten von einigen Ländern (z.B. Österreich, Tschechien) besuchen.
Wie gefällt dir Ungarn?
Die ungarischen Leute finde ich sehr freundlich und geduldig. Ich habe schon viele ungarische Süßigkeiten und die Fischsuppe probiert und sie schmecken mir gut. Was mir noch auffällt hier in Europa, das ist, dass die Leute viel weniger Farben tragen als wir Chinesen und die Kleidung der Europäer ist nur durch eine einzige Farbe dominiert.
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Sophia, es ist klar, dass du das Land wegen der Sprache gewählt hast. Aber warum gerade Szeged?
Ich bin wirklich wegen der Sprache nach Ungarn gekommen und hier in Szeged war ich noch nie, obwohl ich in meinem ganzen Leben von meiner Mutter gehört habe, wie schön Szeged ist. Sonst kenne ich schon andere ungarische Städte und ich wollte etwas Neues probieren. Am meisten kenne ich Veszprém, wo ich 2009/2010 ein halbes Jahr lang ein Praktikum machte. Ich lernte in der Zeit hauptsächlich Ungarisch. Budapest und Pécs wären auch keine Neuigkeiten für mich gewesen; In Pécs war ich einen Monat lang und zwar für einen Hochschulsommerkurs für ungarische Sprache und Kultur. Zamárdi kenne ich wie meine Heimatstadt, weil wir in meiner Kindheit jeden Sommer da Urlaub machten.
Deshalb war es auch kein Kulturschock für mich, nach Ungarn zu kommen. Ich habe mich an einige Sachen schon früher gewöhnt, die hier in Ungarn normal sind, von denen ich mich in Göttingen abgewöhnt habe. Es war schön, sie wieder zu entdecken. Eine solche Sache war, dass die Männer in Ungarn immer die Tür aufhalten und Frauen vorgehen lassen.
Hast du auch andere Auslandserfahrungen?
Solche umfangreiche habe ich sonst nicht. In anderen Ländern war ich immer kurz, zu Besuch oder zum Urlaub. Letztes Jahr war ich z. B. in Russland für eine Internationale Studentenkonferenz für Finnougristik, aber das waren immer nur ein paar Tage. So viel und so lange, wie ich in Ungarn war, war ich noch in keinem anderen Land.
Warum wolltest du gerade Ungarisch studieren?
Ich wollte auf jeden Fall immer irgendeine Sprache studieren und nach dem Abi habe ich überlegt, ob ich zum Beispiel Französisch oder vielleicht eine seltene Sprache studieren möchte. Ungarisch wollte ich sowieso lernen, weil wir so viel in Ungarn waren. Außerdem ist die Frau meines Onkels auch Ungarin. Sie haben sich genau in Szeged kennen gelernt und für eine Weile auch in Ungarn gelebt. Ihre Kinder sprechen auch diese Sprache, genauso wie meine Mutter, die sie einfach aus Spaß gelernt hat. Deswegen war es auch für mich wichtig, die Sprache zu erlernen, weil es ein bisschen komisch ist, wenn so viele Leute in der Familie eine Sprache sprechen, die man nicht versteht.
Es gibt aber nicht viele, die der gleichen Meinung sind wie ich und sich dafür entscheiden, Ungarisch zu studieren. In Deutschland ist Finnougristik kein populäres Fach und die Zahl der Studenten wird immer weniger. Sonst gibt es insgesamt drei Universitäten in Deutschland, wo man das Fach studieren kann: außer Göttingen noch in Hamburg und in München. Bei uns sind eigentlich ca. 5-6 Leute pro Jahrgang, die anfangen, das Fach zu studieren. Davon fallen auch manche zwischendurch raus. Also gibt es insgesamt wenige, die da bleiben und sich nach dem Studium wirklich damit beschäftigen.
Was für Pläne hast du nach der Uni? Denkst du, dass es schwer ist, einen Job zu finden?
Das Übersetzen wäre ein Beruf, den ich für mich vorstellen könnte, aber viele von uns werden eventuell in der Forschung bleiben. Ich denke, es wird wirklich nicht so leicht, einen einschlägigen Job zu haben. Natürlich hätten wir etwas Anderes studieren können, wofür wir jedoch kein Interesse haben. Deshalb habe ich im Bachelor auch Volkswirtschaftslehre studiert, um später einfacher Arbeit finden zu können. Dann habe ich aber festgestellt, dass man endlich bei dem Fach bleiben muss, wofür man die Leidenschaft hat. Sonst denke ich, dass es für jemanden, der Geisteswissenschaft studiert, wichtig ist, zusätzliche Qualifikationen zu sammeln, damit man zum eigenen Studium Pluspunkte in seinen Lebenslauf schreiben kann. Deshalb mache ich in Göttingen eine Zusatzqualifikation für Deutsch als Fremdsprache, um Deutsch für Ausländer unterrichten zu können und deshalb bin ich am Institut für Germanistik bei einigen Veranstaltungen dabei, weil ich teilweise auch ein Praktikum für DaF mache. Diese Zusatzqualifikation machen bei uns fast alle.
Wie findest du das Finnougristik-Studium in Ungarn? Welche Unterschiede hast du zwischen deinen Studien in Ungarn und in Deutschland bemerkt?
Die Veranstaltungen sind völlig anders als bei uns, weil hier ungarische Muttersprachler unterrichtet werden. Es versteht sich von selbst, dass das Ungarische hier gar nicht zum Fach Finnougristik gehört. Es werden ganz andere Kurse angeboten als in Göttingen, weil die Professoren ganz andere Forschungsschwerpunkte haben. Es werden hier auch Sprachen unterrichtet (z.B. die samojedischen Sprachen), die bei uns gar nicht behandelt werden.
Was für Reisepläne hast du für die Zeit, die du in Ungarn verbringen wirst?
Ich hatte ziemlich viele Pläne, aber alles wird wahrscheinlich nicht klappen. Es ist noch geplant, dass ich nach Wien fahre, um mir den Weihnachtsmarkt anzusehen. Außerdem bin ich noch eine Woche am Balaton, weil da ein Übersetzerseminar für Literaturübersetzung (aus dem Ungarischen in andere Sprachen) stattfindet. Ursprünglich habe ich mir so vorgenommen, nach Siebenbürgen zu fahren, aber wenn das nicht klappt, möchte ich noch wenigstens nach Kolozsvár [Klausenburg; Cluj Napoca – Anm. d. Red.] fahren.
Wie gefällt dir Ungarn?
Ich kenne Ungarn schon gut, für mich gibt es hier keine Neuigkeiten. Was die traditionellen ungarischen Speisen betrifft, sie schmecken mir gut. Zur Zeit verzichte ich darauf, jeden Tag Fleisch zu essen, deshalb esse ich nicht so oft ungarische Spezialitäten außer z. B. káposztás tészta [Krautfleckerl – Anm. d. Red.]. Toll ist es, dass man hier überall Kekse bekommt wie Győri Édes.
/Mónika Mikó/