Deutsches aus Schweden in Ungarn – Wie Sprache die Welt verbindet

Autoren: Shangpin Liu, Dóra Kata Takács

Zeitung: 2014/2

Rubriken: Germanistik, Studium

2012 nahm Frau Prof. Dr. Valéria Molnár (Universität Lund) in Szeged am Humboldt-Kolleg “Schnittstelle Text” teil und hielt einen Vortrag über „Fragen im Kontext – Ein Vergleich zwischen dem Deutschen und dem Schwedischen”. Nach zwei Jahren wurde Frau Professor Molnár wieder nach Szeged eingeladen und hielt am 7. Oktober und 9. Oktober 2014 im Rahmen der linguistischen Werkstatt der Ungarischen Akademie für Wissenschaften jeweils zwei Vorträge. Frau Professor Molnár bot dabei Interessierten Einblicke in ihre Forschungsbereiche.

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Frau Molnár beim Vortrag

Informationsstruktur in der Schnittstelle zwischen Grammatik und Pragmatik – kontrastive und typologische Überlegungen

Am 7. Oktober 2014 hielt Frau Professor Molnár im Gebäude der Szegeder Kommission der Ungarischen Akademie der Wissenschaften  einen Gastvortrag, um den wissenschaftlichen Austausch zwischen der Universität Szeged und der Universität Lund zu fördern. Der Gastvortrag wurde von Frau Dr. habil. Ewa Vargáné Drewnowska organisiert.

Der Gastvortrag war in erster Linie als Vortrag für Kolleg(inn)en am Institut für Germanistik bzw. an der Universität Szeged gedacht, weil er linguistisches Vorwissen forderte. Interessierte Studierende waren ebenfalls herzlich eingeladen. Der Gastvortrag begann um ca. 18 Uhr.

Zuerst begrüßte Frau Dr. habil. Anna Fenyvesi, Vorsitzende der Linguistischen Abteilung der Akademischen Kommission für Moderne Philologie und Leiterin des Instituts für Anglistik und Amerikanistik an der Philologischen Fakultät, Frau Professor Molnár herzlich. Danach übergab sie das Wort an Frau Dr. habil. Ewa Vargáné Drewnoska, sie in ihrer Einleitung ausführlich über Ausbildung und Forschungsschwerpunkte von Frau Professor Molnár gesprochen hat. Die beiden Kolleginnen haben ein sehr gutes persönliches Verhältnis. Sowohl in der Begrüßungsansprache als auch während des Gastvortrags herrschte ein freundschaftlich-persönlicher Umgangston.

Nach den herzlichen Grußworten fand der Gastvortrag statt. Professor Molnár erläuterte dabei zunächst den Hintergrund für die Forschung zum Thema „Informationsstruktur“. Die Analyse der Informationsstruktur (IS) ist in verschiedenen theoretischen Ansätzen verankert: Entweder diskursbasiert (Thema/Rhema, „funktionale Satzperspektive“ oder aus der Perspektive der Systemlinguistik mit Fokus auf den formalen bzw. semantisch basierten Eigenschaften (F-Feature, syntaktische Positionen, Akzenttöne, Mengentheorie). Der Vortrag war folgendermaßen gegliedert:

1. Universelle IS-Prinzipien: Probleme, Widersprüche; 2. Vorschlag: Kohärenzprinzip – Lösung der Probleme? 3. Zum Begriffsinventar der IS; 4. Typologische Variation – Hierarchie; 5. Deutsch im Sprachvergleich; 6. Schlusswort

Die Ergebnisse waren, dass das Deutsche im Vergleich zum Englischen, Ungarischen und Schwedischen über andere relevante sprachspezifische und grammatisch basierte Eigenschaften verfügt, die die Realisierung des Vorfelds beeinflussen.

Im Anschluss an den Vortrag haben manche Teilnehmer einige Fragen zur Diskussion gestellt, z.B.: ob Frau Professor Molnár die Unterschiede zwischen Französisch und Deutsch erforscht? Welche Unterschiede gibt es zwischen Deutsch und Latein? Auf die Fragen bot Frau Professor Molnár ausführliche Antworten. Insgesamt dauerte dieser hochinformative und kurzweilige Vortrag ca. 90 Minuten.

Als Dank und Erinnerung hat Frau Dr. habil. Ewa Vargáné Drewnowska Frau Professor Molnár den Band des Humboldt-Kollegs “Schnittstelle Text” geschenkt. Frau Dr. habil. Ewa Vargáné Drewnowska erzählte, dass das Erasmus-Projekt zwischen der Universität Lund und der Universität Szeged gerade gestartet wurde.

 

Der zweite Vortrag fand am 8. November im Linguistischen Seminar statt:

Das Passiv im Dienste der Aktivisierung. Sprachtheoretische und sprachdidaktische Überlegungen zu einer „sprachlichen Absurdität“

Das Passiv, ein wohl bekannter Begriff für alle Deutschlerner. Die formalen Aspekte der Passivbildung kennen wir wohl alle. Warum lohnt es sich aber dann, uns wieder damit näher auseinanderzusetzen? Es ist doch nur ein „Luxus der Sprache“, oder? Ist es überhaupt nützlich?

Mit solchen und ähnlichen provokativen Fragen begann der zweite Vortrag von Professor Valéria Molnár. Sie hat nämlich die Existenz bzw. die Notwendigkeit des Passivs in Frage gestellt und damit ein sowieso sehr kontroverses Thema angedeutet, an dem offensichtlich viele Studenten interessiert sind, da sämtliche außer den zwei anwesenden Seminargruppen erschienen sind und dem Thema entsprechend sich auch aktivisiert haben.

Nach einem kurzen geschichtlichen Überblick und der Auffrischung unserer Kenntnisse kam es zu der Problematisierung der formalen bzw. der inhaltlichen Aspekte des Passivs. Die aufregende Frage von Frau Professor Molnár, ob die formale Überlappung mit anderen Kategorien zufällig oder begründet sei, hat die Aufmerksamkeit aller im Raum endgültig auf diese rätselhafte grammatische Erscheinung gelenkt. Sowohl diese als auch eine andere schwierige didaktische Frage, nämlich die der Passivfähigkeit, blieben aber am Anfang noch offen.

Die vielen Fragezeichen in den Köpfen zeugten von dem höheren Niveau des Erkenntnisprozesses und resultierten sich schließlich in drei einfachen Fragen: Warum? Was? Wie? Dazu kamen noch die terminologischen Probleme, da das Genus verbi sich im Gegensatz zu anderen grammatischen Kategorien wie Tempus (→Temporalität), Modus (→Modalität), doch nicht auf die Genialität beziehen kann.

Als Lösung bei der formalen Identifikation bzw. Abgrenzung von anderen Formen ergab sich ein einziges Kriterium und zwar die Frage, ob ein Agens zu der Form konstruiert werden kann. Passiv wird nicht immer durch die Form signalisiert, die Anwesenheit einer externen Kraft, kann aber die Frage entscheiden, was für alle Deutschlerner eine große Hilfe bedeuten kann.

Was die Notwendigkeit dieser Konstruktion anbelangt, hat Frau Molnár betont, dass nicht nur die Relationen von Agens und Patiens eine Rolle spielen, sondern auch die Änderung des Charakters des Prädikats. Durch das Passiv wird nicht mehr das Handeln, sondern ein Zustand oder ein Vorgang betont. Der Definitionsversuch dieses aus vielen Hinsichten spannenden Begriffs führte dann aber doch noch zur weiteren Überlegungen, dank deren Frau Professor Molnár zum Teil auch die semantischen Überlappungen der beiden formal gegensätzlichen Formen erläutern konnte.

Das Thema ist damit aber noch weit nicht abgeschlossen. Das Passiv an sich selbst verbirgt noch viele andere Möglichkeiten in sich, wovon auch die Fragen am Ende des Vortrags zeugten. Am merkwürdigsten klang vielleicht die Frage nach der Existenz des Passivs im Ungarischen, die eine gute Grundlage weiterer kontrastiver Untersuchungen bieten kann.

 

Zwei Gastvorträge, zwei einleuchtende Themen, die bestimmt viele zum Nachdenken gebracht haben. Hoffentlich werden weitere solche interessanten Veranstaltungen organisiert, durch die wir unsere Kenntnisse auch außerhalb des Studiums erweitern können. 

 /Shangpin Liu, Dóra Kata Takács/

 Informationen zu Frau Professor Molnár:

–  Anstellung:

Ab 1999-07-01: Professor – Germanistische Linguistik, Universität Lund Zentrum für Sprach- und Literaturwissenschaft Schweden

–  Ausbildung:

1978: Staatsexamen –  Budapest, ELTE Universitet  Deutsch, Russisch, Skandinavische Sprachen

1984: ”Ämneslärarexamen” German, Englisch, Lund university

– Dissertationen:

1978: Budapest, ELTE Universitet

1991: Ph.D. Germanistische Linguistik, Universität Lund

– Post-doc-Forscherin:

1992: Tübingen, Karl-Eberhard Universität

1993, 1994: Mannheim, Institut für deutsche Sprache (IdS)

1998: Berlin, Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft

– Schwerpunkte der Forschung:

• Theoretische Sprachwissenschaft im Bereich der kontrastiven und komparativen Linguistik

• Forschung im Lunder Programm ”Sprache und Pragmatik” – mit Fokus auf die Schnittstelle

zwischen Systemlinguistik und Pragmatik

• Informationsstruktur in der generativen Grammatik, Phonologie der Informationsstruktur,

Semantik und Pragmatik der Informationsstruktur – Zentrale Begriffe in der Forschung:

Topik, Fokus, Kontrast

• Linguistische Typologie, historische Sprachwissenschaft

• verbale Kategorien: Aspekt, Diathese, Passiv

• Syntax, Phonologie, Pragmatik der Fragen

 

Quellen der Bilder:

Fotos von Shangpin Liu