Killerschlager

Autor: Christiana Gules

Zeitung: 2014/1

Rubriken: Freizeit, Kultur

Wenn aus Gewalt durch Schlagermusik Spaß wird

Mit der Entwicklung der Musik als Massenprodukt änderte sich auch die Interpretation und Rezeption von Kriminalfällen. Monster wurden zu “lyrischen Figuren”, schaudererregende Straftaten wurden zu “lyrischen Motiven”. Heute geht es in der gegenwärtigen Popmusik eher darum, den sexuellen Hedonismus zu preisen, doch früher kam das eine oder andere Lied über Mord in die Top 10 der Schlagercharts.

Braucht der Deutsche gute Laune, trinkt er Bier und brüllt einen Schlager. Und das ist nicht nur seit der Selbsternennung Jürgen Drews zum König von Mallorca so. Anfang des 20. Jahrhunderts, wo die Lockerung der strikten gesellschaftlichen Normen, die Auflösung der aristokratischen Elite durch die Selfmade Businessmen aus den Reihen des Bürgertums eine neue Ära erahnen ließ, veränderte sich langsam auch die Art der Musik. Der große Unterschied zwischen Schubertliedern des Klavierlehrers während des Musikunterrichtes und den Kneipengesängen und Volksliedern verschwand. Das Radio diktierte einen gemeinsamen Musikgeschmack, unabhängig davon, ob der Zuhörer arm oder reich war. Die Popkultur entstand.

Zu den Hits der Jahrhundertwende und der Zwischenkriegszeit gehörten meistens berühmte Lieder aus Volksstücken und Operetten. Im Gegensatz zu heute waren sie mehr oder weniger von besserer Qualität. Natürlich würden die Grande Dames der Zeit dies bestreiten, doch im Nachhinein ist das Vergangene immer besser als das Jetzige. Nostalgie eben. Ein Symptom des Golden Age Thinking.

Vor 90 Jahren, 1924, war das Lied von Walter Kollo Warte nur ein Weilchen ein Hit. Die Melodie ist Teil der am 22. Dezember 1923 in Berlin uraufgeführten Operette Marianne und lässt einen Dialog zwischen einem Mann und einem 17-jährigen Mädchen erklingen. Dabei geht es um das ungeduldige Verlangen, Liebe kennen zu lernen. Dem väterlich mahnenden Mann erwidert eine melancholische Frauenstimme, warum auf Narren zu hören, warum harren und hoffen, wenn man heute sein Glück selbst finden kann. Darauf folgt dann der berühmt gewordene Refrain:

Warte, warte nur ein Weilchen, / bald kommt auch das Glück zu dir! /

Mit den ersten blauen Veilchen / klopft es leis‘ an deine Tür. /

Warte, warte nur ein Weilchen, / bald kommt auch das Glück zu dir, /

bringt vom Himmel dir ein Teilchen / und klopft dann an deine Tür!

Und wie jedes berühmte Lied, erlitt auch dieses den Fluch der Parodie. Denn warum nicht alles kaputtmachen?! Doch was man mit diesem Lied in Hannover gemacht hat, kann nicht nur mit einigen Zeilen erklärt werden. Schon während der 20er-Jahre entstanden mehrere Versionen zum gleichen Thema, doch 1961 kam die Jazz-Version von Hawe Schneider in die Top 10 der Charts im Radio. Der Refrain klingt dabei folgenderweise:

Warte warte nur ein Weilchen, / bald kommt Haarmann auch zu dir! /

Mit dem kleinen Hackebeilchen / macht er Hackefleisch aus dir. /

Aus den Augen macht er Sülze, / aus dem Hintern macht er Speck, /

aus den Därmen macht er Würste / und den Rest, den schmeißt er weg.

Das Grauenhafteste dabei sind nicht einmal die Zeilen, sondern die Tatsache, dass die fröhlich-schnelle Dixie-Melodie Lust macht, zu diesem makabren Inhalt auf den Tischen zu tanzen. Worum geht es überhaupt in diesem Lied, und warum so heiter? Nicht einmal die grausamen Kindergeschichten, die die Gebrüder Grimm gesammelt haben, stellten das Böse so komisch dar.

Meiner Ansicht nach ist dies eine Frage des Mediums. Im 17.-18. Jahrhundert war eben die mündlich vorgetragene Erzählung die beste Lösung, eine Information weiterzugeben. Und damals meinte man das auch ernst. Aber nach dem Weltkrieg änderte sich die Form der Unterhaltung, keiner erzählte mehr, jeder sang dem Radio nach. Eine weitere verquere Wirkung auf die Menschen: nach dem Weltkrieg – vielleicht aufgrund des Traumas und des Schocks – jedenfalls versuchte man aus dem Schlimmsten das Beste zu machen. Heute würde das nicht mehr funktionieren.

Also, was ist geschehen? Wer ist Haarmann, warum muss ich auf ihn warten und warum macht er Hackfleisch aus mir?

Fritz Haarmann, gelernter Schlosser, Händler, Polizeispitzel und Serienmörder, wurde im Dezember 1924 zum Tode verurteilt und verlor seinen Kopf. Er missbrauchte und schlachtete 24 Jungen zwischen 10 und 22 Jahren auf den Straßen Hannovers. Während seines Lebens wurde er mehrfach festgenommen, doch immer wieder hatte er gute Karten und entging einer Verhaftung, was während seines Prozesses einen dunklen Schatten auf die Polizei von Hannover geworfen hat. Von behandelnden Psychologen und Ärzten wurden bei ihm unheilbarer Schwachsinn und Schizophrenie festgestellt. Mit seinem 20 Jahre jüngeren Mitbewohner Hans Grans pflegte er ein homosexuelles Verhältnis. Dieser Grans sollte die Opfer zu dem Monster schicken. Nach seinem Tod geriet Haarmanns Gehirn in den Fokus der Hirnforschung in München. Aus medizinischer Sicht wurde die Ursache seines bestialischen Verhaltens – er zeigte nämlich bis zum Ende keine Reue, nicht einmal die Erkenntnis der gravierenden Unmenschlichkeit seiner Taten – auf eine frühere, unentdeckte Gehirnhautentzündung zurückgeführt.

Und das besingt Hawe Schneider und kommt in die Top10.

Einen nicht weniger makabren Fall, der ebenfalls in den 20er-Jahren in München stattgefunden hatte, bearbeitete Bertolt Brecht, ganz früh nach dem Erscheinen der Presseberichte in einem Gedicht (1927). Apfelböck, oder die Lilie auf dem Felde lässt uns in eine Wohnung der seelischen Dunkelheit reinschauen. Ein Kind erschlägt seine Eltern, versteckt sie im Schrank, und wird krank von dem Geruch. Das Gedicht lässt das Ende offen, doch in der Wirklichkeit ist bekannt, dass Joseph Apfelböck Gefängnis und den zweiten Weltkrieg überlebte, eine Familie gründete und ungestört bis Mitte der 80er-Jahre lebte.

In dem Gedicht bleibt Brecht der Realität treu und schildert die Grausamkeit des Vorfalls. In der Musik dagegen verliert man das Gefühl der Wirklichkeit. Das kennen wir doch heute auch aus den Blockbustern. Gewalt und Komödie passen wie Arsch auf Eimer. Die antiken Kaiser hatten ihren Spaß an den sandblutigen Gladiatorenkämpfen. Warum fasziniert uns das Böse, das Blutige, das Grausame immer noch? Über den Topos Tod zu singen ist eine Sache, aber über die Umstände und die Kulissen zu spaßen, ist wieder etwas anderes.

http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Haarmann

http://www.welt.de/vermischtes/article1994089/Fritz-Haarmann-war-der-Vampir-von-Hannover.html

http://www.youtube.com/watch?v=eE0wIm1zknM

Quelle des Beitragsbildes: www.ghetto-rock.com

 /Christiana Gules/