Leni Riefenstahl, die kontroverse Künstlerin
Anfang des neuen Jahrtausends lebte sie noch unter uns als eine der letzten verbliebenen Spuren einer sehr grausamen Periode der Vergangenheit: Leni Riefenstahl. Heute ist sie schon Geschichte, obwohl man ihren Namen immer noch relativ oft hört. Sogar der heutige Topregisseur Quentin Tarantino soll sie vor einigen Jahren in einem Interview als die beste Regisseurin aller Zeiten verehrt haben. Es gibt auch eine Reihe von Ausstellungen, die ihre Werke seit 2004 von Berlin bis Ljubljana bereits in sieben Städten gezeigt haben.
Leni Riefenstahl scheint also immer und überall aktuell zu bleiben, genauso wie die Frage der Trennung zwischen Kunst und Politik. Egal, ob in Berlin, Ljubljana, Budapest oder Kuala Lumpur, Künstler werden überall mit dieser Frage konfrontiert. Sollen sie Kunst und Politik unbedingt voneinander trennen oder sollen sie eher versuchen, diese zwei Bereiche irgendwie zu vereinbaren? Und manchmal hat die Entscheidung sehr ernsthafte Konsequenzen.
Leni Riefenstahl wurde mehrmals über diese Problematik gefragt, obwohl es nicht zu ihren Lieblingsthemen gehörte. Man kann sehr einfach nachschauen – auch im Internet gibt es viele Diskussionen und Interviews in diesem Zusammenhang. Statt diesen Fragestellungen steht hier aber vielmehr im Mittelpunkt, was heutzutage sehr wenige über sie wissen: Wer war eigentlich Leni Riefenstahl?
Vor der NS-Zeit war sie als Tänzerin tätig, bis sie nach einer schweren Knieverletzung damit aufhören musste und mit ihrer Karriere als Schauspielerin anfing. Sie machte in vielen unterschiedlichen Filmen mit, es stellte sich jedoch bald heraus, dass sie eine besondere Zuneigung zur Natur und zu den Bergen hat. Für Filme wie zum Beispiel Der heilige Berg und Der große Sprung lernte sie Skilaufen und Bergsteigen und schulte sich im Handwerk des Filmemachens.
Als Schauspielerin kam sie natürlich auch mit der großen Diva der Zeit, mit Marlene Dietrich in Kontakt. Beide waren Berlinerinnen, beide sollen früher in demselben Sportklub geboxt haben. Trotz ihrer unterschiedlichen politischen Einstellungen kämpften sie für dasselbe Ziel: Sie wollten der damaligen deutschen Gesellschaft zeigen, dass es möglich ist, als freie und unabhängige Frau erfolgreich zu sein und ein vollwertiges Leben zu führen. Wie Edith Kohn in ihrem Artikel über diese zwei außerordentlichen Frauen im Magazin Die Welt treffend zusammenfasst:
„Die Diva Dietrich schlüpft in die amerikanische Uniform, um die Truppen gegen Hitlerdeutschland zu unterstützen. […] Leni Riefenstahl lässt sich auf Hitler ein. […] Und doch sind sie unabhängige Frauen, ökonomisch und persönlich. […] Sie kämpften beide, bis nichts mehr ging.“
Leni Riefenstahl war aber in der Filmindustrie nicht nur als Schauspielerin tätig, sondern hat später auch selbst angefangen Drehbücher zu schreiben. Mit ihrem Film Das blaue Licht wurde sie zur erfolgreichen Regisseurin. Bald wurden auch Göbbels und Hitler auf sie aufmerksam und beauftragten sie mit der Regie eines Filmes über den Reichsparteitag der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Jahre 1934. So entstand als Teil einer Parteitagstrilogie der berühmte Film Triumph des Willens, der sie – zusammen mit ihren Olympia-Filmen – weltberühmt machte. Zuerst war sie auch in den USA und in Großbritannien populär, aber das änderte sich nach den politischen Geschehnissen der Jahre 1938/39 rasch.
Während des Krieges arbeitete sie als Kriegsberichterstatterin, sich total für die derzeitige Führung Deutschlands verpflichtend. Persönlich soll sie Hitler auch nah gewesen sein. Sie standen von Anfang an bis Hitlers Tod in Briefkontakt, obwohl sie sich in diesen Briefen immer siezten und einen förmlichen Ton beibehielten. Hitler soll Riefenstahl als große Künstlerin angesehen haben, während Leni ihn immer als einen guten Menschen betrachtete. Obwohl ihre Beziehung auf gegenseitigem Respekt beruhte, betonte Riefenstahl mehrfach, dass sie Hitler als Menschen und als Politiker immer unterschiedlich beurteilt habe und dass sie der NSDAP niemals beigetreten sei, weil sie mit deren antisemitischer Ideologie nicht einverstanden war.
Kontrovers ist auch ihre Beziehung zum Propagandaminister Joseph Göbbels. In Göbbels Tagebuch finden sich mehrere Einträge, in denen er davon berichtet, dass er private Treffen mit Riefenstahl gehabt habe und, dass die Regisseurin auch an privaten Veranstaltungen der NSDAP-Führung teilgenommen habe. Riefenstahl bezeichnete dies, als sie mit diesen Einträgen konfrontiert wurde, als Lüge. Sie betonte auch, dass Göbbels mit ihr eine Liaison eingehen wollte und nachdem sie ihn mehrfach abgewiesen hatte, sei er immer sehr kalt und unfreundlich zu ihr gewesen. Wer nun recht hatte, kann niemand mehr nachweisen…
Nach dem Krieg wurden mehrere Nachkriegsprozesse gegen Leni Riefenstahl durchgeführt, deren Gegenstand meistens ihre Propagandatätigkeit und der Film Tiefland waren. In diesem Film habe sie nämlich ohne Entlohnung Sinti und Roma als Statisten angestellt, von denen einige später in Konzentrationslagern ums Leben kamen.
Da es aber keine Beweise gegen sie gab, wurde Leni Riefenstahl in allen Prozessen freigesprochen. Weil sie ihre Karriere als Filmemacherin nicht fortsetzen durfte, arbeitete sie nach dem Krieg als Fotografin weiter. Ab den 50er-Jahren reiste sie mehrmals nach Afrika, um dort das Leben des sudanesischen Stammes der Nuba zu dokumentieren. Aus dieser Arbeit sind drei Bildbände zustande gekommen, die ihr wieder internationale Anerkennung brachten. Außerdem machte sie auch viele Unterwasseraufnahmen von Korallen, Fischen, Schwämmen usw., nachdem sie 1974 mit 72 Jahren (mit falschen Altersangaben!) die Taucherprüfung abgelegt hatte.
In den Jahren 1992/93 drehte der Regisseur Ray Müller ihre Filmbiographie Die Macht der Bilder, wofür er mit dem Emmy ausgezeichnet wurde. Nach diesem Film zeigte sich Leni Riefenstahl kaum mehr in der Öffentlichkeit. Ein seltener Auftritt war ihr 100. Geburtstag 2002, als man ihr zu Ehren eine große Feier veranstaltete. Außer den Aufnahmen dieses Abends wurden nur ein paar Interviews aus ihren letzten Jahren überliefert. Sie starb 2003 (gerade vor zehn Jahren) zu Hause, nach einer langen Krankheit, kurz nach ihrem 101. Geburtstag – als eine der letzten verbliebenen Spuren einer sehr grausamen Periode der Vergangenheit.
/ Máté Imre Huber /
Quellen der Bilder:
http://www.tasteofcinema.com/2013/the-10-most-controversial-directors-of-all-time/4/