Über „Faust” aus der Sicht des Übersetzers

Autor: Lívia Gyulai

Zeitung: 2016/1

Rubrik: Germanistik

Der neue „Faust” erschien und wir hatten das Glück, den Übersetzer hier in Szeged willkommen zu heißen: Mit László Márton hat sich Júlia Tóth-Czifra, die Redakteurin dieses Bandes, über die Geheimnisse der Übersetzung, die gemeinsame Arbeit mit dem Budapester Katona József-Theater sowie über strukturelle und sprachliche Fragen in Goethes Werk unterhalten. Die Veranstaltung am 06. Oktober 2016 wurde im Rahmen des Kulturprogramms des DAAD-Lektorats im Grand Café organisiert.

Faust: ein zu langes Werk?
Zunächst hielten seitens des DAAD-Lektorats Dr. Andreas Nolda und seitens des Instituts für Germanistik Dr. habil. Endre Hárs eine Begrüßung. László Márton war schon öfter in Szeged zu Gast, sodass man die Stimmung als frei und unbeschwert bezeichnen kann. Bereits Anfang der 90er-Jahre beschäftigte er sich mit dem ersten Teil. Darum beschrieb Júlia Tóth-Czifra Lászlo Mártón als wahren „Faust”-Kenner. Er übersetzte den „Faust” und bekam daraufhin einen Ruf von Árpád Schilling, den zweiten Teil für das Budapester Katona József-Theater zu übersetzen, weil dieser das Stück aufführen wollte. Márton nahm den Auftrag an und begann so, sich tiefgehender mit „Faust” zu beschäftigen.
Nach eigener Auskunft mochte er „Faust” früher nicht, weil er ihm zu lang, langweilig und schwer vorkam. Frau Tóth-Czifra hat die Frage gestellt, was für ein Gefühl Márton im Zusammenhang mit dem Übersetzen gehabt hat. Márton sagte, er habe gewusst, dass es eine große Arbeit sein werde, er habe deshalb Hilfe und Zuspruch gebraucht. Nachdem er mit dem Verlag Kalligram bezüglich der Herausgabe gesprochen hatte, bekam er sofort die Zusage und ab diesem Zeitpunkt sei alles klar gewesen. Er entschied sich, auch das „Volksbuch” und den „Urfaust” einzuarbeiten.

Übersetzen nach festen Regeln
Als nächstes sprach Frau Tóth-Czifra mit Herrn Márton darüber, wie eigentlich das Übersetzen vonstattengehe. Ich hatte den Eindruck, als wäre der Übersetzer ziemlich offen zu uns gewesen. So sagte er, dass der erste Akt theatralisch gesehen unbrauchbar sei, also habe er mit dem zweiten Akt begonnen. Márton hielt fest, dass das Übersetzen ein Kommunikationsprozess sei, einerseits zwischen dem Autor und dem Übersetzer, andererseits zwischen dem/der LeserIn und dem Übersetzer. Seiner Ansicht nach sollte alles so übersetzt werden, dass der Übersetzer nach mechanisch festgelegten Regeln arbeitet. Damit ist z.B. gemeint, jeden Tag 80 Zeilen zu übersetzen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich gerade um schwere oder leichte Stellen handelt. So habe er erst einmal vom II. bis zum V. Akt übersetzt, dann am Ende den ersten.
Anschließend kam zur Sprache, wie Márton den Faust hinsichtlich seiner Gattung einordnen würde. Die meisten sagen, dass er eine dramatische Dichtung sei, aber laut Márton existiert keine solche Gattung. Seiner Meinung nach sind die Funktionen der Formen des Gedichts sehr wichtig, z.B. evoziere Goethe gern daktylische Sonette. Dann kam eine sehr wichtige Frage auf, die ein großes Dilemma bei Übersetzungsarbeiten ist: Was ist wichtiger beim Übersetzen, das starre Übersetzen oder die gut nachvollziehbare Gedankenfolge? Laut Márton ist der Verstand viel wichtiger. Die ÜbersetzerInnen sollten nicht alle Reime strikt verfolgen, sondern den LeserInnen den Text so vermitteln, also übersetzen, dass er gut verständlich ist.

Der „Faust” hat keine Struktur
Auch die Dramaturgie des Werkes wurde diskutiert. „Faust” habe eine sehr starke sprachliche und poetische Dramaturgie, die sehr spezifisch sei. Bei Márton sind die Reime schrill, aber deswegen ist sein „Faust” nicht weniger poetisch. Márton sieht sich selbst nicht als Dichter, er habe nur verschiedene Reimtechniken erlernt. Es sei für ihn von Vorteil, dass er keinen eigenen poetischen Stil habe, den er ins Werk einbauen könnte. Es wurde auch festgehalten, dass „Faust” keine Struktur habe, was den Zuschauern seltsam anmutete. Wir konnten alles über die Heterogenität des Werks erfahren, zuletzt über „Urfaust”, was im Publikum, wie ich gesehen habe, auf reges Interesse stieß.
Klar ist, dass László Márton ein großartiger Goethe- und „Faust”-Kenner ist. Als er den „Faust” übersetzte, habe er fast mit Goethe gelebt. Er habe alles so tief untersucht, dass er sogar die kleinsten Geheimnisse über Goethe und sein Werk kennt. Am Ende des Vortrags hatte das Publikum die Möglichkeit Fragen zu stellen, sodass wir einiges über die gemeinsame Arbeit mit Frau Tóth-Czifra erfuhren, die auch sehr dankbar dafür war, dass sie dieses Projekt mit Márton durchführen konnte. Zuletzt möchte ich auch im Namen des GeMas dem DAAD-Lektorat, dem Institut für Germanistik, dem Grand Café und der Stiftung für die Szegeder Germanistik einen herzlichen Dank sagen, dass sie die Veranstaltung organisiert und ermöglicht haben.

/Lívia Gyulai/

Publikum bei „Faust“ aus der Sicht des Übersetzers

László Márton im Gespräch mit Júlia Tóth-Czifra