Über die Gedichte von Paul Klee
Zum einen ist er ein weltberühmter Maler, zum anderen ein Dichter, dessen literarisches Werk ziemlich unbekannt ist. Diese beiden Seiten in Paul Klees künstlerischem Schaffen sind aber sehr unterschiedlich rezipiert worden. Seine Malerei erreichte schon zu Lebzeiten ein breites Publikum, über seine Gedichte wusste demgegenüber nur seine Familie Bescheid. Um dieses literarische Material ans Tageslicht zu bringen, veröffentlichte sein Sohn Felix Klee 1960 ein Gedichtband mit seinen Texten.
Auf den ersten Blick findet man zahlreiche sprachliche Ausprägungen in Paul Klees Œuvre. Von 1921 bis 1931 war er als Lehrer am Bauhaus-Institut tätig (eingeladen von seinem späteren Freund Kandinski), und Anfang der dreißiger Jahre an der Düsseldorfer Akademie der Künste, wo er Vorlesungen über die Theorie der bildnerischen Formlehre hielt. In diesen Zeiten versuchte er, seine Erfahrungen in der Malerei zur Sprache zu bringen, wobei er ein spannendes Grenzgebiet zwischen sprachlichem und bildnerischem Denken entdeckte. Nach zahllosen Versuchen gab er gegen die Jahrhundertwende seine literarischen Ambitionen auf.1 Später nahm er sie in der Hoffnung wieder auf, um eine Verbindung zwischen dem Dichterischen und dem Bildnerischen zu schaffen. In dieser Zeit rückte die bildende Kunst ins Zentrum seines Interesses.
Die theoretischen Werke und die von Klee besuchten Seminare von Johannes Itten hatten einen großen Einfluss auf sein Denken in bildnerischer Hinsicht. In den ersten Jahren im Bauhaus Institut schrieb er das Pädagogische Skizzenbuch, Das bildnerische Denken und die Unendliche Naturgeschichte. Er wurde vom Künstler auch zum Lehrer. Aus dieser Zeit stammen jene Texte in Gedichte, die visuelle Strukturen oder die Fragen nach der bildnerischen Repräsentation thematisieren. „Ruhe in Großen/ und im Kleinen// Ruhe in der großen Form/ Beweglichkeit im Kleinen// Bewegliche große/ und kleine Form// Bewegliche große ruhige kleine Form,/ das heißt «Anstrich».”2 Die abstrakte Sprache aber lässt sich nicht allein auf den Kontext der Kunsttheorie reduzieren. Bei den früheren Einträgen sind solche Texte zu finden, die einen Interpretationsraum für intermediale Untersuchungen öffnen. Zu diesen gehört auch das Gedicht Zwei Berge gibt es aus dem Jahr 19033, worum sich der vielzitierte Aufsatz von Roman Jakobson bzw. seine Gedichtanalyse über Henri Rousseau handelt.4 Klee schuf in diesem Gedicht einen Kosmos der Götter, der Menschen und Tiere, in dem die Götter und Tiere auf zwei gegenüberstehenden Bergen wohnen, und zwischen ihnen, in einem „dämmerigen Tal”, befinden sich die Menschen. In Jakobsons Interpretation wird eine visuelle Struktur hinter der grammatischen aufgewiesen. Die klare, logische Symmetrie der Götter („die wissen, dass sie wissen”) und der Tiere („die nicht wissen, dass sie nicht wissen”) hat auch eine optische Seite: Das schematische Bild von jenen zwei Bergen, die vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen. Im Gegensatz zu den beiden eindeutigen Erkenntnisformen haben die Menschen einen ambivalenten Wissenszustand: „sie wissen, dass sie nicht wissen.” Parallel zu diesen logischen Variationen auf der sprachlichen Ebene ergibt sich deren einfache Veranschaulichung auf der visuellen. Dieses Gedicht ist kein einzelnes Beispiel des intermedialen Spiels in Klees literarischem Werk; solche Überlappungen zwischen verbalen und visuellen Codes lassen sich auch in anderen Texten finden.
Wie ein kleines Kind, das in einem Grenzgebiet zwischen Schreiben und Zeichnen steht, verwendet der Dichter Klee das Visuelle im Sprachlichen außerhalb der traditionellen Bildhaftigkeit der literarischen Sprache. Obwohl viele literarische Einflüsse bei Klee von K. Porter Aichele schon nachgewiesen wurden (wie z.B.: Christian Morgernstern oder Kurt Schwitters, was im Fall seiner dadaistischen Texte eindeutig ist5), hat Klee meiner Meinung nach eine ganz eigene experimentelle Dimension gefunden, die in keinerlei literarischen Kontext passt. So sind seine Gedichte an sich zwar nicht besonders originelle literarische Texte, doch öffnen sie Spielräume für einzigartige intermediale Versuche. Diese Interpretation entspricht Klees Erklärung, die er in Düsseldorf an der Akademie über seine Arbeit gab: „Ich sage Dichterisches, kein Literarisches.” Was bei ihm das Dichterische bedeutet, ist ungefähr ein Bild im Wort oder ein Wort im Bild; und der Akt des Lesens erfordert die Aktivierung der beiden Seiten. Für dieses künstlerische Verfahren liefert das Stück über den Mond ein gutes Beispiel: „im Bahnhof eine von den Lampen/ im Wald ein Tropfen im Bart/ am Berg: daß er nicht rollt!/ Daß ihn der Kaktus nicht spießt!/ Daß ihr nicht nießt!”6 Das ist auch eine Form vom bildnerischen Denken, wie der Titel seines Schulbuchs lautet, die Idee einer Synästhesie, die sich in einer Serie von Experimenten verkörpert, denn das bildnerische (außerspachliche Bildhaftigkeit) und sprachliche Denken schließen sich gegenseitig aus. Vielleicht eben deswegen ist das Denken bei Klee als eine Art romantische Naivität in seinem Tagebuch definiert: „Traum. Ich flog nach Haus, wo der Anfang ist. Mit Brüten und mit Fingerkauen begann es. Dann roch ich was oder schmeckte was. […] Käme jetzt eine Abordnung zur mir und neigte sich feierlich vor der Künstler, dankbar auf seine Werke weisend, mich wunderte das zu wenig. Denn ich war ja dort, wo der Anfang ist. Bei meiner Madame Urzelle war ich, das heißt so viel wie fruchtbar sein”.7
Die Gedichtfragmente weisen auf eine besondere räumliche Ordnung hin, die keine Tiefe bzw. Perspektive hat, nur eine zweidimensionale, vertikal-horizontale Oberfläche. „Vogel der singest/ Reh das springest/ Blume am Fels/ im See der Wels/ im Boden der Wurm/ zu Gott helft bauen/ den Turm.”8 – so lautet ein anderer typischer Text aus dem Gedichtband. Bei jedem solchen Text sehen wir eine Art Stillleben, das neben seinen räumlichen Eigenschaften eine ähnlich einfache Zeitstruktur hat. Jede einzelne Zeile des Gedichtes repräsentiert nämlich einen isolierten Jetzt-Moment, ohne Verbindung zu dem Jetzt-Moment der nächsten Zeile. Sie bilden eine Kette von Jetzt-Momenten, ohne Konnektivität. Die Gegenwart des jeweiligen Momentes bleibt lokal, sie hat nur einen punktuellen Horizont. Vielleicht haben Kinder ein derartiges Bewusstsein, und das Zusammenfügen der zeitlichen Aspekten der Erfahrung ist eine Sache des Lernens. Man könnte sagen, dieser Logik folgt Felix Klees editorische Arbeit. Der Band funktioniert nicht als eine wohl strukturierte Einheit von verschiedenen Facetten eines literarischen Schaffens, sondern eher wie eine Serie von für-sich-stehenden Aspekten aus jenem fragmentierten Bewusstsein, oder wie Ausschnitte aus der langen Folie von Paul Klees intermedialen Experimenten.
Paul Klee, Gedichte. Hrsg. Felix Klee. Zürich-Hamburg, Arche Literatur Verlag AG, 2010.
Literatur:
Aichele, K. Porter: Paul Klee, Poet/Painter. (Studies in German Literarure Linguistics and Culture), Camden House. New York, 2006.
Jakobson, Roman: Hölderlin, Klee, Brecht : zur Wortkunst dreier Gedichte. Hrsg. von Elmar Holenstein. Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main, 1976.
Klee, Paul: Tagebücher – 1898-1918. Europa Verlag. Zürich, 1957.
3 Paul Klee (2010), 55.
4 Roman Jakobson (1976)
5 K. Porter Aichele (2006), 46.; 53.
6 Paul Klee (2010), 11.
7 Paul Klee (1957), 206.
8 Paul Klee (2010), 12.