Der kühle Wind streichelte ihren Rücken, aber die Flammen versengten ihr Gesicht.
»Gib mir den Wein! «
»Rot, weiß? «
»Weiß. «
Das Feuer knisterte leise, die Menschen murmelten, aber der Schrei zersplitterte die Geborgenheit der Nacht. Man wünscht, solch einen Schrei nie im Leben zu hören; lang, voll von Grauen und sich auflösend in Tränen. Das Weinglas zerbrach in Caras Hand, ihr Blut tropfte von ihrer Hand auf das Gras. Unbewusst hat sie das Glas bei der Überraschung zerquetscht, sie zischelte durch die Zähne, aber sie hatte keine Zeit, sich über die Schnitte zu beklagen, denn hinter den Büschen springt Lars hervor und rennt hysterisch zu ihr. Sie hat ihn noch nie so gesehen, obwohl sie einander schon seit Jahren kennen. Es hätte auch witzig sein können, wie er sie angriff, aber sein weißes Gesicht, sein zitternder Körper und die Tränen haben niemanden zum Lachen gebracht. Die Männer standen sofort auf, bildeten einen Kreis um den weinenden Lars und um die Frauen. Sie versuchten ihn zu beruhigen.
»Ins Haus! Jetzt!«, gab Chris die Anweisung und sie haben sie befolgt.
Alle waren im Wohnzimmer, einige standen am Fenster, andere schlurften durch das Zimmer. Lars lispelte in der letzten Stunde nur unverständliche Worte.
»Siewirdmichereilensiewirdmichereilensiewirdmichereilen… «
»Was sagt er?«, fragte Chris ängstlich.
»Ich bin nicht sicher… « Cara neigte sich noch näher zu Lars. »Sie wird … um… Sie wird mich er…eilen. Sie wird mich ereilen. Wer wird dich ereilen, Lars? Was hast du getan?« Sie schüttelte ihn kräftig, und er hörte endlich mit der Murmelei auf. Er warf einen Blick auf Cara, schüttelte mit dem Kopf und schluckte den Whiskey.
Nach dem dritten Glas begann Lars zu erzählen.
»Sie meinten, ich habe nicht genug Mut, dahin zu gehen. Wir haben gewettet, dass ich durch den Tunnel gehe.« Ein plötzlicher Schreck durchfuhr das Zimmer. Spricht er über d e n Tunnel? Hat er echt d a s gesagt? Er spricht gerade über d e n Tunnel. »Ich habe gedacht, es ist nur eine Legende, was kann eigentlich schief gehen? « Er trinkt wieder. »Alles. Jetzt weiß ich es.«
Jemand klopfte an die Tür.
» Lass mich hinein.« Die Stimme gehörte einer Frau, sie sprach leise. Das Glas fiel Lars aus der Hand.
»Sie hat mich erei…« so viel konnte er sagen, die Tür schwang auf und im nächsten Moment blendete ein grelles Licht jeden im Zimmer. Geräusche von Kratzen und Gebrüll füllten den Raum, aber die Frau konnte nicht hineinkommen. Nach dem ersten Schock schlug Chris die Tür zu und die Geräusche wurden leiser. Sie wussten nicht, was sie jetzt machen sollten.
»Hat jemand etwas Genaues gesehen?«, fragte Chris.
»Ihre Klamotten waren grau und schmutzig und… und sie hat keine Augen.«
»Sie heißt Kinge.« sagte Lars matt. »Ich habe sie im Tunnel getroffen. Sie hat um meine Hilfe gebeten und…«
»Idiot!« Lars konnte seinen Satz nicht beenden, weil Chris ihn anbrüllte. Er war nicht der einzige, der Lars anbrüllen wollte. Das Zimmer war jetzt voll mit wütenden Menschen, die nicht verstanden, wie Lars so unverantwortlich sein konnte. »Und du hast ihr Wasser gegeben, Wasser, was du auch getrunken hast. Wenn du das nächste Mal so etwas tust, bitte stirb irgendwo anders und möglichst allein.«
Cara verließ das Zimmer. Sie war auch böse, ihre Hand tat ihr weh und ihr Blut tropfte noch, man sollte wahrscheinlich ihre Wunde nähen und nicht nur mit Textil umhüllen. Sie ging in die Küche und wusch ihre Hand mit kaltem Wasser, es war nicht die beste Idee, aber sie wollte jetzt mit niemandem sprechen. Als Cara durch das Fenster blickte, stand ein Mann da. Seine Augen und Haare waren schwarz, seine Haut weiß und er sah genauso aus wie ein Toter. Cara sah, dass er mit seinen Lippen „Komm heraus“ formulierte. Es war keine Aufforderung, kein Wunsch, nur eine Aussage. Als sie aus ihren Gedanken erwachte, stand sie vor dem Haus, die Klinke der hinteren Tür war in ihrem Rücken und der Mann stand vor ihr. Er trat immer näher und näher und seine Haut wurde immer lebendiger.
»Tu das nicht.« Ihre Stimme war so leise, sie flüsterte die Wörter fast. Der Mann blieb stehen, verlor seine Farbe und wurde wieder weiß.
»Du kannst ihn, alle erlösen.«, sagte er.
»Ich weiß.« Sie atmete tief ein und nahm ihre Halskette ab. »Gehen wir.«
***
»Und was jetzt? Was machen wir jetzt?« Sie versuchten einen Plan auszuarbeiten. Sollen sie bis zur Morgendämmerung warten, vielleicht verschwindet sie dann? Für 17 Personen haben sie sicherlich nicht mehr Speisen als für einen Tag. Wird sie irgendwann verschwinden? Zu viele Fragen und zu wenige Antworten.
»Es ist meine Schuld. Ich gehe nach draußen.«
»Lars… Es ist weniger als eine Stunde bis zur Dämmerung.«
»Nein. Ich habe es verursacht, ich bin der einzige hier, der sterben muss. Sie wird nicht weggehen.«
Sie wollten darum streiten, aber er hat niemandem mehr zugehört. Er ging zur Tür, öffnete sie und trat heraus. Die Frau stand 3 Meter weit von ihm entfernt. Sie holte zum Sprung aus und flog zu Lars. Er schloss seine Augen, atmete nicht, und wartete auf sein Schicksal, auf seinen Tod. Etwas streichelte sein Gesicht, er öffnete seine Augen, aber er sah nur graues Pulver. Er hustete und verstand nicht, was passierte und die anderen auch nicht. Die Frau verschwand während des Sprungs, als sei sie nie dagewesen, nur diese graue Pulverwolke blieb, aber auch nicht lange, ein Lüftchen wehte sie weg. Lars drehte sich verständnislos herum. Chris erschrak.
»Wo ist Cara?«
***
Der Mann leckte ihre Wunde und lächelte. Cara stand im Tunnel, ihre Hand in der Hand des Mannes.
»Bist du fertig?« Sie nickte.
Der Spiegel war groß, sein Rahmen aus Silber, er glänzte herrlich. Cara erhob ihre Hand, ihr Blut färbte den Spiegel, eine Hand ergriff ihre und zog sie in den Spiegel.
/Krisztina Zámbó/
Quelle des Beitragsbildes: conversationalreading.com