Am 16. April hielt DAAD-Lektor Dr. Andreas Nolda einen linguistischen Vortrag mit dem vielversprechenden Titel „Hampelmannschaft aus Eurasien auf Kurlaub”. Untertitel: „Wortbildungsmuster und Wortbildungsarten der Wortkreuzung”. Über Wortbildung haben sicher alle schon einmal etwas gehört, aber was ist eine Wortkreuzung und was hat das mit Wortbildung zu tun?
Diese Fragen zu beantworten war Herr Noldas Absicht. Seit vergangenem Semester lehrt und forscht er am Germanistischen Institut in Szeged (GeMa berichtete) und beschäftigt sich laut eigenen Angaben vor allem mit Morphologie, Syntax und Semantik1 – ein weites Feld und die Wortkreuzung ist ein kleiner, aber sehr interessanter Teil davon. Obwohl es nicht besonders viel Forschung dazu gibt, sind eine Reihe von Begriffen dafür geprägt worden: Mischung, Verschmelzung, Verschränkung oder die mit unglücklichen Assoziationen behaftete Kontamination.
Was also nun ist eine Wortkreuzung? Sehen wir uns den Titel an. Hampelmannschaft ist ein Wort, bestehend aus Hampelmann und Mannschaft, wobei einmal ´Mann´ getilgt wurde. Eurasien ist die Aneinanderreihung von Europa und Asien, allerings wurde ´opa´ weggelassen. Kurlaub schließlich besteht aus Kur und Urlaub, die sich überschneidenden Silben wurden fusioniert. Das Prinzip lautet also: Aus zwei mach eins. Aber ist die Wortkreuzung ein Muster der Wortbildung oder sind es nur Versprecher oder auch bewusste Wortbildungen, die zufällig eine lustige Bedeutung haben, aber keinen grammatischen Regeln folgen? Zu beweisen, dass zumindest manche Wortkreuzungen genau das tun und sich somit in das System der deutschen Wortbildung einordnen lassen, war das Ziel des Vortragenden.
Denn es lassen sich sowohl formale wie semantische Regelhaftigkeiten entdecken, wie Herr Nolda aufschlussreich darlegte. Hampelmannschaft, das Beispiel der Beispiele des Abends (ich habe nicht gezählt, wie oft dieses Wort gefallen ist, aber es war sehr oft) kann sowohl in der obigen Variante wie auch als Hampelmannmannschaft auftreten. In letzterem Fall handelt es sich um eine Verkettung der beiden Basen Hampelmann und Mannschaft, gebildet wurde also ein Determinativkompositum wie Haustür oder Hutschachtel. Der erste Fall hingegen stellt eine morphologische Überlappung dar, die beiden ´Mann´ fusionieren zu einer Komponente, demzufolge ist es eine Kreuzung. Der Unterschied ist also ein formaler. Gemein ist beiden, dass sie subordinativ sind, dass heißt, das Erstglied ordnet sich dem zweiten (semantisch und in Bezug auf die Flexion) unter. Das bedeutet, dass die Reihenfolge der Bestandteile nicht vertauschbar ist, ohne dass sich die Bedeutung ändert: Ein Mannschaftshampelmann ist der Hampelmann der Mannschaft, die Hampelmann(mann)schaft eine Mannschaft, die aus Hampelmännern besteht, oder aus Männern, die sich wie Hampelmänner benehmen, oder… aber das wird erst durch den Kontext klar.
Und dann ist da auch noch Kurlaub bzw. Kururlaub, welche zugleich Kur und Urlaub sind – also koordinativ und nicht subordinativ, somit sind auch die einzelnen Bestandteile vertauschbar: Im Kur(ur)laub wie in der Urlaubskur lasse ich es mir gut gehen. Allerdings bestehen wiederum formale Unterschiede zwischen den Wörtern. Bei Kururlaub wurde durch eine Verkettung ein Kopulativkompositum gebildet wie schwarzweiß oder süßsauer. Kurlaub hingegen ist auch eine Kreuzung, jedoch wurden hier keine morphologischen, sondern zwei phonologische Einheiten miteinander verschmolzen.
Zumindest für diese beiden Beispiele der Wortkreuzung mit der Überlappung eines morphologischen bzw. silbischen Bestandteils lässt sich also feststellen, dass sie der Komposition sehr nahe stehen und somit als Teil der Wortbildung angesehen werden sollten. So weit so gut, aber heißt das automatisch, dass es keine Versprecher, sondern bewusst gebildete neue Wörter sind, wie in der Diskussion im Anschluss gefragt wurde? Bewusst sind diese Erfindungen sicherlich, denn es sind kreative Neuschöpfungen, die oft einen ironischen Unterton haben. Darum geht es bei der Beschreibung der Wortbildungsmuster aber gar nicht unbedingt, vielmehr interessiert die Frage, ob die Wörter regelhaft sind, was Aufschluss gibt über die Möglichkeiten, die im Deutschen bestehen, neue Wörter zu bilden.
Denn einige Wortkreuzungen lassen sich überhaupt nicht in das System der deutschen Wortbildung einordnen, wie beispielsweise Persil. Es wurde aus Wasserstoffperoxid und Silikat, den Bestandteilen des Waschpulvers, gebildet. Jedoch folgt es keinem Muster, es ist lediglich ein prägnanter, bewusst gewählter Markenname.
Manche der Kreuzungen sind hingegen sogar schon lexikalisiert: jein, denglisch und Teuro zum Beispiel. Und die Tortour findet sich ganz ähnlich auch im Ungarischen.
Wenn jemand noch ein Thema für eine Seminararbeit oder die Bachelorarbeit braucht: Eine sehr spannende Frage wäre, ob im Ungarischen die gleichen Regularitäten gelten wie im Deutschen. Kann man auch für das Ungarische feststellen, dass die Kreuzung ein Wortbildungsmuster darstellt?
Schließlich wurde gefragt, was denn nun mit Eurasien sei: Ist es Derivation oder Komposition? Diese Frage konnte Herr Nolda noch nicht beantworten, die formale Analyse stellt eine neue Herausforderung dar. Besteht es aus Europa und Asien? Oder aus euro und Asien? Es ist ein Kreuz mit diesen Abertausenden von Wörtern, die jeden Tag neu gebildet werden. Denn wenn die Frage, wie sich nun Eurasien einordnen lässt, beantwortet ist, gibt es bestimmt schon wieder zehn neue, die auch danach rufen, „beforscht” zu werden.
1http://andreas.nolda.org/index.php/research
Das Interview mit Herrn Nolda: http://gema.szegedigermanisztika.hu/2013/10/ungarisch-ist-nicht-nur-fur-muttersprachler-interessant/
/Dorothea Dicke/