Generation Y – Jugend 2.1

Autor: Christiana Gules

Zeitung: 2013/1

Rubrik: Gesellschaft

Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.

Unzufriedenheit, ausgesprochen oder nicht, dominiert die Einstellung der Menschen zu ihrem Leben und zu der Welt. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, sogar die Unter-haltungsindustrie bietet uns nicht mehr das, was wir wollen. Die Erwachsenen sehen den Grund dieses Verfalls von Moral und Kultur in der modernen Jugend. Diese wiederum wirft den Älteren vor, selbst Schuld an all dem Schlimmen zu sein. Dabei vergessen beide Seiten, wie eng doch die Bindung zwischen ihnen eben heute ist.

“Talkin‘ ‚bout my generation”

Nach dem zweiten Weltkrieg fand der so genannte BabyBoom statt, und die “Generation X” erschien. Sie war sozusagen die erste Generation, die radikal gegen die bisherigen Normen auftrat. Das Kultmusical “Hair” aus dem Jahr 1979 stellt den Zeitgeist der 60er Jugend prägnant dar. Die im Film gezeigten gesellschaftlichen und “ideologischen” Unterschiede waren etwas ganz Neues. Nicht politisch oder gewaltsam traten diese Unterschiede ans Licht. Erstens war es die Mode, die sich unter den Jugendlichen der mittleren Schichten verbreitete. Sie definierten sich selbst durch ihre Musik und Kleidungsart. Man denke nur an die Szene, als Treat auf dem Tisch tanzt und das Lied “I’ve got life” singt. Auf die snobistische Frage des reichen Republikaners hin zählt er alles auf, was er besitzt. Es ist das Leben und nicht das Geld.

Springen wir dann ein halbes Jahrhundert nach vorne und sehen wir uns die jetzige Generation an. Dabei unterscheiden die Soziologen zwischen “Generation Chips” und “Generation Y”. Die erste gilt für die weniger gebildeten Massen, die eigentliche Konsumgesellschaft (ausführlicher wird das Thema in dem Film “Idiocracy” mit Luke Wilson, 2006, behandelt). Generation Y steht dagegen für die Schicht der heutigen Jugend, die, geboren in den 80ern und Anfang der 90er, den großen Sprung der Technologie aktiv und beteiligt miterlebt hat. Es ist unsere Generation. Man nennt uns auch “Millennials”, also die Jahrtausender. Die nachkommende Generation, die schon in die digitale Welt hineingeboren wurde, wird als “Digital Natives” bezeichnet.

“Let the children’s laughter remind us how we used to be”

Wenn es um die Jugend geht, fallen kaum positive Bemerkungen und das seit einer Ewigkeit, wie man an dem Sokrates-Zitat sehen kann. Man geht aber weiter und meint dasselbe wie Aristoteles: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ Ähnlich äußert sich auch der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt: „Jugend ist ein Argument, das mit jedem Tag an Wert verliert.“

Eins darf man aber nicht vergessen. Diese Aussagen wurden von erwachsenen Männern gesagt, die in Krisenzeiten lebten und ganz schnell vergessen haben, dass sie einmal auch jung waren. Die “Oberflächlichkeit” ihrer Aussagen wird von Salvador Dalí schön knapp “begründet”: „Das Problem mit der heutigen Jugend ist, dass man selbst nicht mehr dazugehört.“ Und das ist vielleicht auch gut so. Denken wir doch nur an Madonna oder Natascha Ochsenknecht.

Ein Gesellschaftsbild der anderen Art

Zum Glück gehören diese Damen zu der Minderheit. Im Allgemeinen kann man aber die drei Generationen aufgrund von Stereotypen aufteilen und beschreiben. Es gäbe dann die Beamten-Eltern, die ihr graues eintöniges Leben im Kampf mit dem Finanz-amt und der Krankenkasse führen, verwöhnte, konsumgesellschaftliche Teenies groß-ziehen und sich wegen der Rente Gedanken machen müssen. Die Teenager gehören zu der erwähnten dritten Generation, “Digital Natives”. Die meisten von ihnen haben nie in ihrem Leben einen Röhrenfernseher oder einen Videorekorder gesehen. Dazwischen befinden wir uns, die Studierenden und jungen Intellektuellen der Epoche, die fest davon überzeugt sind, mit Green Power und der Macht der Massenmedien die Welt verändern zu können. Die Aktion “Occupy Wall Street” gilt vielleicht als die bekannteste Organisation unserer Generation.

Da die vorerst erwähnten zwei Generationen der Erwachsenen und Teenager global-geschichtlich gesehen keine neuen Züge zeigen können, bedeutet die Generation Y einen tiefliegenden Scheidepunkt. Einerseits weil wir die alte, “analoge” Technik noch bedienen können und die originalen Versionen der heutigen Pitbull-Remixe auch kennen, andererseits gehören wir zu den leitenden Köpfen bei der Gestaltung der digitalen Welt. Die Zukunft liegt quasi in unseren Händen, und das ist auch nichts Ungewöhnliches.

“Mad World”

Doch auch wir werden erwachsen. Es kommt schon vor, dass auch wir jetzt, ähnlich den vorher erwähnten Philosophen und großen Männern, solche Äußerungen von uns geben wie “früher in meiner Zeit war alles besser” oder “so  eine Frechheit hätte ich mir nie erlaubt in deinem Alter”. Es sind negative Bemerkungen, die keine Toleranz und Verständnis beinhalten. Bei der heutigen Musik, dem Lebensstil und Modegeschmack der Jugendlichen ist es auch kein Wunder, würden die meisten von uns empört behaupten. Die Sache ist nur, dass die Behauptungen teilweise falsch sind. Die Geschichte beweist nämlich, dass es quasi nie eine Epoche gab, in der sich die Eltern keine Gedanken darüber gemacht haben, was wohl die geheimen Vorlieben ihrer Kinder sein könnten. Die Unzufriedenheit begleitet uns ununterbrochen.

So hasste man Gutenberg. Er wolle die Qualität der Kodizes durch gedruckte Bücher zunichte machen wollen. Erinnern wir uns doch mal kurz an die Aussagen von Sokrates und Willy Brandt. Die Jugend, dieses verwilderte, hedonistische Monster, verliere ihren Wert Tag für Tag. Wenn also diese Jugend bis Mitte des 15. Jahrhunderts moralisch so verdorben und kaputt war, wie kommt es, dass sie die Bedeutung des Druckes verstand und ihn unterstützte? Sind es nicht immer die Jugendlichen, die den Mut haben, neuen Errungenschaften eine Chance zu geben? Natürlich wurden auch damals die Marktplätze schnell von Spam-Flugschriften bedeckt, die qualitätsmäßig gesehen nicht weit weg von Nicki Minaj’s Niveau standen.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Körperkultur. Was früher nur bei Piraten akzeptiert war, gehört heute zum Alltag. Tattoos, Piercings und das Färben der Haare – alles Gewohnheiten, die mit der Zeit zu Konventionen avancierten. Neu ist das wiederum nicht. Während der hedonistischen Kaiserzeit in Rom wurden all diese Erscheinungen auch als modern angesehen und aktiv praktiziert.

Doch in einem Punkt lässt sich keine Wiederholung der Geschichte ausfindig machen, und diesen Punkt konnte auch Herodot nicht kennen. Denn jetzt kommt die authentische Persönlichkeit und das Internet ins Spiel – die zwei wichtigsten Dinge überhaupt bei jedem Jugendlichen.

“Die beste Art, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben.”

Sexualität, Religion, Gemüt, Intelligenz und vieles mehr wird durch Mode- und Musikgeschmack bestimmt. Noch vor Freud oder eben Elvis Presley, die wegen ihrer “zügellosen”, “liberalen” Lebenseinstellung als Verderber der Jugend beurteilt wurden (ähnlich war der Vorwurf gegen Sokrates. Ach, ist das ironisch!) erschien 1890 der Roman “Das Bildnis des Dorian Gray” von dem Dandy aller Dandys, Oscar Wilde. Darin äußert Lord Henry Wotton die Losung eines “gesunden” Lebens: “Jeder Trieb, den wir unterdrücken, keimt in unserem Inneren weiter und ist ein Gift.” Also, müssen wir unseren Trieben nachgeben, damit wir ein gesundes Leben führen können? Psychisch gesehen ja, und das ist das Faszinierende daran.

Am besten lässt sich diese Frage durch ein Beispiel erklären. Heute ist es ganz üblich, das Sprichwort “Carpe Diem” zu verwenden. Doch immer öfters geschieht das in einer modernen, derivierten Form. Man sagt YOLO, und meint damit “You only live once”. Auf den ersten Blick findet man keinen großen Unterschied zwischen den zwei Ausdrücken, doch wer sich im Englischen auskennt, weiß, dass YOLO nicht die korrekte Übersetzung des lateinischen Ausdruckes ist, die nämlich “Seize the day” lautet. Woher kommt dann diese Verkürzung? Sie gehört zu den neuesten Produkten der Jugendsprache und hat die Konnotation eines Lebens ohne Moral, Verantwortung und ohne Regeln, die absolute Freiheit alles zu machen, was man will, nur weil man nur einmal im Leben die Chance dazu hat. Quasi eine Art “Anarchie” für Dumme.

Im Gegensatz dazu weist “Carpe diem” auf das Genießen des Tages, auf das harmonische Leben. Nicht die Menge spielt hier eine Rolle, sondern die Qualität. Und das ist eben, was auch Wilde meint. Man muss relativ denken und handeln, damit man glücklich wird.

Und jetzt kommt unsere Jugend auf die Bühne. Offenheit, Toleranz und gegenseitige Akzeptanz sind die Ziele, die jetzt erreicht werden sollten. Psychiater raten uns immer wieder zu uns selbst zu stehen, unser Ich zu akzeptieren, egal ob unsere Sexualität, unsere Vorlieben oder unser Äußeres dem Trend entsprechen oder nicht. “I’m beautiful in my way ‚Cause God makes no mistakes I’m on the right track, baby I was born this way”, lauten die verruchten Zeilen aus Lady Gaga’s vielleicht umstrittenstem Lied.

“Privacy is no longer a social norm”

Die Gesellschaft ist aber noch nicht bereit, diese Freiheit des Ichs zu akzeptieren. Somit kommen wir zu einer der dunkelsten Seiten des Internets. Dieses Medium wurde nämlich zu einer der gefährlichsten Quellen der Depressionen. Während Außenseiter bislang nur auf dem Pausenhof gemobbt wurden, werden sie heute bis in ihre engste Privatsphäre verfolgt, in ihrem Zimmer attackiert. Das Cybermobbing ist zu spüren, immer mehr Jugendliche begehen Selbstmord.

Das Internet begünstigt aber nicht nur die Cyber-Rowdies. Der Trend der Team-Arbeit ist auch in den Social Networks zu spüren. Die zwischenmenschlichen Kontakte zwischen Erwachsenen und Jugendlichen werden auf Facebook oder Twitter fast unaufhaltbar assimiliert. Noch nie hatten die verschiedenen zeitgenössischen Generationen die Chance, mit eigenen Augen zu sehen, was die anderen eigentlich denken.

Dies ist vielleicht eben eines der wenigen übriggebliebenen Mysterien der Menschheit. Wozu kann es führen, wenn eine totale Toleranz zwischen den Leuten herrscht?

Ein neues Atlantis oder werden wir nur alle zu Tieren auf der gewissen Farm in England?

/ Christiana Gules /