Das Deutsche als Weltsprache?

Zeitung: 2012/2

Rubrik: Geschichte

Oder: Was ist wissenswert an der Mühlenberg-Legende?

Auf dem Gebiet Ungarns gab es im Laufe der Geschichte einen vielfachen Sprachenwechsel. Auch Latein und Deutsch waren hier einmal Amtssprachen, seit 1844 ist es allerdings nur noch Ungarisch. Trotzdem lernen auch heute noch viele Ungarinnen und Ungarn Deutsch – obwohl die meisten Menschen als erste Fremdsprache Englisch lernen, da dies heutzutage die wohl wichtigste Weltsprache ist. Englisch begegnet uns überall: Wir hören die meisten (und berühmtesten) Songs der Popmusik auf Englisch. Viele (junge) Menschen posten auch auf Englisch bei Facebook, weil es sehr cool ist. Kurzum: Alles, was gut und spannend ist, ist Englisch. Deshalb kann Englisch auch ‘mörderische‘ Sprache genannt werden. (Eine Sprache wird dann zum „Mörder“ einer anderen Sprache, wenn ihr Erlernen nicht auf ergänzende Weise geschieht (additively), sondern die Muttersprache nach und nach ersetzt (subtractively). Das Englische herrscht über die Sprachen, damit auch über die Menschen und verschiedene Nationen. Natürlich ist es nicht unbedingt schlecht, dass es eine Sprache gibt, die im Grunde überall verstanden wird.
Nach dieser Einleitung stellen wir uns einmal vor, wie es wäre, wenn die deutsche Sprache heute die wichtigste Weltsprache wäre? Natürlich wäre die Situation für alle ganz anders, hauptsächlich natürlich für die Deutschen. Alles auf Deutsch. Und wir als GermanistikstudentInnen würden eine Weltsprache beherrschen.
Und der Mühlenberg-Legende nach kam es auch fast dazu – oder nicht?

Worum geht es in der Mühlenberg-Legende eigentlich?

Im Jahr 1794 soll es in den USA eine Abstimmung darüber gegeben haben, was die Amtssprache wird. In dieser Zeit gab es relativ viele Deutsche in Amerika, weshalb bezüglich der Amtssprache die Frage gestellt worden sein soll: Deutsch oder Englisch? Das Ergebnis: 41 zu 42 für Englisch. Demnach muss diese bedeutende Entscheidung also von einer Stimme, von einem einzigen Menschen abgehangen haben. Wie hieß er? Die Antwort darauf: Frederick Mühlenberg (1750-1801). Jetzt wissen wir auch schon, woher die Bezeichnung der Legende kommt. Aus seinem Namen ist schon zu schließen, dass er Deutscher war. Trotzdem hatte er das folgende Grundprinzip: „Je schneller die Deutschen Amerikaner werden, desto besser ist es.“ Eine deutsche Stimme soll letztlich die englische Sprache über alle anderen Sprachen der Welt erhoben haben. Das klingt fast zu fantastisch, um wahr zu sein! Und wir dürfen auch tatsächlich nicht vergessen, dass es um eine Legende geht. Und wir wissen, dass Legenden zwar interessant, aber nur selten wahr sind. Sehen wir uns einmal an, wie es wirklich war!

Was ist wahr von der Legende?

In Wirklichkeit hat eine solche Abstimmung niemals stattgefunden. Die ganze Geschichte ist eine Legende, die sich aus Folgendem herausgebildet hat: Eine Gruppe deutscher Einwanderer aus Virginia legte dem Kongress am 9. Januar 1794 eine Petition vor. Da die Zahl der deutschen Bevölkerung relativ groß war, wollten sie erreichen, dass zum Beispiel Gesetze auch auf Deutsch veröffentlicht wurden. Über diese Petition wurde tatsächlich abgestimmt, und auch das Ergebnis, 41 zu 42, entspricht der Wahrheit. Aber die entscheidende Stimme stammte nicht von Frederick Mühlenberg, da der Sprecher des Repräsentantenhauses nicht an der Abstimmung teilnahm. Jetzt können wir sehen, dass es wirklich bloß eine Legende mit relativ geringem Wahrheitsgehalt ist.
Übrigens haben die USA bis heute keine Amtssprache, zumindest gibt es keine gesetzlich festgelegte.

Die Verbreitung der Legende

Das eigentliche Ereignis, aus dem diese Legende entstammt, war im Jahre 1794, die Legende dagegen begann erst etwa 50 Jahre später sich zu verbreiten, heutzutage erfreut sie sich großer Beliebtheit, hauptsächlich in Deutschland, aber nicht nur dort. Das zeigt auch das folgende Beispiel: In der ungarischen Version der TV-Sendung „Wer wird Millionär?“ gab es eine Frage im Zusammenhang mit dieser Legende. Unter vier möglichen Antworten war die Richtige, dass es von einer Stimme abhing, dass die Amtssprache in Amerika nicht das Deutsche geworden ist. Was ja, wie wir erfuhren, in Wirklichkeit falsch ist.

Die Verbreitung der Legende hat natürlich mehrere Ursprünge. Einer ist, dass viele Menschen erkannten, dass sich daraus eine Möglichkeit für Eigenzwecke gewinnen ließ. Während des zweiten Weltkriegs war es für Nazis Teil der Propaganda. Natürlich ist diese Legende in erster Linie für Deutsche faszinierend. Man kann sich darüber Gedanken machen, was passiert wäre, wenn …

 Evelin Jagicza