Eine Filmkritik zu Die Familie

Autor: Dávid Kókai

Zeitung: 2016/1

Rubriken: Rezension, Studiosi

Im Rahmen der Filmreihe des Instituts für Germanistik der Universität Szeged veranstaltete Christoph Beeh M.A., DaF-Lektor am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik, mit Unterstützung des DAAD einen besonderen Filmabend zum 27. Jahrestag des Mauerfalls. An den Filmabenden, die jeden zweiten Mittwoch um 19:30 Uhr anfangen, nehmen Dozent/innen und Studierende teil. Zum Film gibt es immer eine kurze Einleitung, sowie die Gelegenheit zu lockerer Diskussion und Meinungsaustausch im Anschluss. Dieses Mal hieß der Film Die Familie. Der Dokumentarfilm, der am 09.11.2016 im SZTE Ady-Gebäude gezeigt wurde, dauert 92 Minuten.

Was könnte für Eltern schlimmer sein, als der Verlust ihres Kindes? Wenn sie nicht wissen, wo es hingegangen ist, ob es gestorben ist, wo es sein könnte, ob es noch lebt. Bis zum Ende ihres Lebens in der Unwissenheit zu leben. Mehrere Geschichten verschiedener Familien werden im Film des Regisseurs Stefan Weinert gezeigt.

Mit dem Bau der Berliner Mauer begann Ostdeutschland, sich von Westeuropa zu isolieren. Jeder Mensch, der die Grenze ohne Erlaubnis überqueren wollte, durfte erschossen werden. Aus diesem Grund sind mindestens 168 Menschen zwischen 1968–1989 ums Leben gekommen. Nach ihrer Fertigstellung war es viel wichtiger, die Grenze zu beschützen, als das Leben einer Person. Die Mörder der Opfer sind bis heute nicht immer zur vollen Verantwortung gezogen worden. Aber nicht nur die Toten sind Opfer, sondern auch die, die am Leben geblieben sind: Mütter, Väter, Geschwister, die nicht ein Wort von ihren Verwandten gehört haben, die noch nicht einmal den Ort kennen, an dem diese vielleicht begraben worden sind. Die Ungewissheit über die Beweislage und Verfälschungen der Akten, die nicht mehr rekonstruiert werden können, sind für die meisten ein weiteres Trauma, das nie verdaut werden kann.

Natürlich spricht kein Mauerschütze, aber umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass ein Sohn namens Heiko zu seines Vaters Mörder fährt und wir dem Gespräch lauschen können. Eigentlich wusste auch Heiko nicht, was er fragen wird. Aber interessant war, dass er gar nicht erst fragen musste. Eigentlich wollte er das Gespräch verweigern, doch kam dann schließlich selbst ins Reden. Darüber, dass er kein Verbrecher sei. Einerseits sei er damals 19 Jahre alt und „Opfer im System“ gewesen, wie er sich ausdrückt. Andererseits habe er einen Warnschuss abgegeben. Es sei eine verkehrte Entscheidung gewesen, sagte er. Meiner Meinung nach sieht man hier ganz deutlich, wie der Mörder den Mord vertuschen will, ohne Gewissenbisse.
Zum Schluss möchte ich hervorheben, wie klar der Film das Gefühl der Opfer zeigt und dass auch die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung so durchschaubar sind wie die Aufdeckung der Ermordungen hätten sein sollen.

Die Familie, Weinert (2013), 92 Min. Weitere Infos rund um den Film sowie den Trailer gibt es hier.

/Dávid Kókai/