Workshop bei Tag und Nacht

Autoren: Viktória Teknős, Ágnes Pavlicz

Zeitung: 2015/2

Rubriken: Germanistik, Geschichte, Kultur, Studium

Aus Anlass des 150. Jubiläums der Wiener Ringstraße wurde vom 24. – 26. September am Institut für Germanistik ein dreitägiger Workshop unter der Leitung von Dr. Peter Plener aus Wien, der Germanist, Historiker, Kultur- und Medienwissenschaftler ist, und unserem Institutsleiter Dr. habil. Endre Hárs angeboten. Bei Tag wurden literarische Werke aus dem Band 1865, 2015. 150 Jahre Wiener Ringstraße: Dreizehn Betrachtungen bearbeitet und bei Nacht freuten wir uns über spannende Filme.

Workshop bei Tag

In diesem Semester hatten wir die Möglichkeit, mit unseren Mitstudierenden eine besondere Form von Lehrveranstaltung zu erfahren. Innerhalb des Kurses „Einführung in die Kulturwissenschaften“ haben wir uns mit dem Thema „Wien“ beziehungsweise mit der Ringstraße auseinandergesetzt. Und zwar fand im Rahmen des Seminars ein Workshop statt. An diesen wurde die Thematik des Seminars angepasst, da die beiden thematisch ineinandergreifen sollten.

Im Workshop hielten unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen Moderationen ab und wir beschäftigten uns aktiv mit dem Ringstraße-Thema, sodass wir uns den Lehrstoff besser aneignen konnten. Der Moderator brauchte dafür die aktive Mitarbeit von den Teilnehmern. Wir waren also aufgefordert, eigene Meinungen zu äußern, beziehungsweise Ideen oder Bemerkungen hinzuzufügen.

Der Workshop begann mit einem Filmabend im Grand Café. Hier wurde der Film Before Sunrise (1995) gezeigt. Es folgten am nächsten Tag mehrere Moderationen und zum Abschluss des Tages ein Film unter dem Titel Der dritte Mann (1949). Über die Filme können Sie im zweiten Teil dieses Artikels, Workshop bei Nacht von Ágnes Pavlicz, mehr lesen.

Durch Moderationen wurden Werke über Wien vorgestellt, deren Grundlage das Buch 1865, 2015. 150 Jahre Wiener Ringstraße: Dreizehn Betrachtungen bildete. Dieses Buch ist aus Anlass des Jubiläums erschienen und enthält dreizehn literarische Texte, die von verschiedenen Autorinnen und Autoren stammen. Diese literarischen Texte führen einen in eine eigene Welt, setzen sich dabei intensiv mit Mythos und Wirklichkeit der Ringstraße auseinander.

In den Sitzungen lernten wir Geschichten von zeitgenössischen Autoren wie Eva Menasse (Deutschland): Der zerbrochene Ring, Vladimir Sorokin (Russland): Coctail, György Dalos (Ungarn): Meine beiden Ringstraßen und Mitsuyo Kakuta (Japan): Jedem sein Wien kennen.

Ferner hat Herr Plener einen Vortrag über Wien gehalten, in dem er die Stadt der Jahrhundertwende vorgestellt hat. Zu dieser Zeit konnte sich beispielsweise die Weltausstellung, auch als Expo bekannt, im Kontext der Industrialisierung als technische und kunsthandwerkliche Leistungsschau etablieren. Die für die Weltaustellung errichteten repräsentativen Landespavillons zeichnen sich durch interessante Architektur aus, welche versucht, das Charakteristische des jeweiligen Landes auszudrücken. Der Vortrag spiegelte die Atmosphäre des wienerischen Stadtlebens  wieder. Nicht nur wurde der ganze damalige Praterpark mit seinen Ausstellungspavillons detailliert präsentiert, Herr Plener hat auch mit unterschiedlichen Bildern die damalige Stimmung der Presse eingefangen. Dass die Weltausstellung ein wirtschaftlicher Reinfall war, erklärte Herr Plener damit, dass zu der Zeit ein Börsenkrach (der sog. Gründerkrach) stattfand  und dass Wien darüber hinaus von einer Cholera-Welle heimgesucht worden sei. Viele Leute wurden krank oder starben und so hatten nur denkbar wenige Lust, sich die Ausstellung anzusehen. Für Politikinteressierte war spannend zu hören, wie sich damals zwei Erzfeinde, nämlich der österreichisch-ungarische Kaiser Franz Josef und der preußische Kaiser Friedrich Wilhelm, den Hauptpavillon teilen mussten, was aus dem Grunde merkwürdig ist, da Ungarn neben Österreich hätte repräsentiert werden sollen.

Zum Schluss wurden weitere literarische Werke kritisch betrachtet. Die Moderationen behandelten verschiedene Themenbereiche. Wir lernten drei Gedichte über Wien kennen, die von Carl Costa: Chronik von Groß-Wien, Detlev von Liliencron: Wiener Ringstraßenkorso und Joachim Ringelnatz: Wien stammen. Diese Autoren lebten im 19. Jahrhundert und sind in der Zeit der Jahrhundertwende gestorben. Die Moderatoren boten mögliche Interpretationen zu den Gedichten, die  wir im Anschluss auch gemeinsam besprachen.

/Viktória Teknős/

Workshop bei Nacht

Nach den literarischen Werken bei Tag setzten wir den Workshop mit zwei Filmen in der Nacht fort. Der erste Film, Before Sunrise, handelt von zwei Studenten, Jesse aus den U.S.A. und Céline aus Frankreich. Die beiden machen einen Zwischenstopp in Wien und nach stundenlanger Unterhaltung verlieben sie sich ineinander. Der Handlungsort ist Wien, sodass wir mit den zwei Hauptcharakteren zusammen die Straßen durchqueren konnten. Obwohl der Abend gut gelungen war, verlegten wir die Diskussion wegen des späten Zeitpunkts auf den nächsten Tag. Die studentische Moderation am Morgen wurde auch mit interessanten Informationen durch Herrn Plener ergänzt. So erfuhren wir, wie die Schauplätze des Films der Umsetzung der Handlung dienen, und welche Parallelen sich daraus ergeben. Eine von diesen waren die zwei Szenen mit der Hörkabine im Schallplattenladen und der Kabine des Riesenrads. In der ersten Szene kannten sich die Protagonisten noch nicht, dies erklärt eine peinliche Situation im geschlossenen Raum. In der zweiten hatten sie ihren ersten Kuss, als sie den höchsten Punkt der Runde erreichten. Hier war der Raum offen, man fühlte sich für eine Minute wie auf dem Dach der Welt. Das Datum des Treffens, der 16. Juni, war auch kein Zufall: Im Roman Ulysses von James Joyce verbringen die Verliebten in Dublin an demselben Datum einen ähnlichen Tag, nur 90 Jahre früher. Dieser Tag ist seitdem als „Bloomsday“ bekannt. Der Film stellt ein kulturhistorisches Denkmal für das damalige Wien dar. Sowohl die Lokale und andere Schauplätze als auch das Theaterstück Bringt mir die Hörner von Wilmingtons Kuh von Kurt Palm, zu dem die Jugendlichen eingeladen waren (auch wenn sie es schließlich nicht besichtigten), waren bei den Wienern beliebt.

In der folgenden Nacht haben wir wieder einen Film im Grand Café angeschaut, diesmal den Schwarz-Weiß-Krimi Der dritte Mann. Es ist eine Zeitreise in das Wien der Nachkriegszeit, als die Stadt in vier Besatzungszonen aufgeteilt war. Der amerikanische Autor Holly Martins fährt wegen eines Jobangebots nach Wien. Aber bald nach seiner Ankunft erfährt er, dass sein Freund Harry Lime getötet worden ist – zumindest dachte man dies. Martins fängt an zu recherchieren und findet heraus, dass Lime selbst ein Krimineller war. Die Besatzungszonen stellen im Film einen geschlossenen Rahmen dar, die ihm wegen der problematischen polizeilichen Zusammenarbeit der verschiedenen Mächte ein gutes Versteck bieten. Wien wird zerbombt dargestellt, doch das Kanalisationssystem und das Riesenrad scheinen davon unberührt zu sein. Insbesondere das Riesenrad spielt in diesem Film eine wichtige Rolle: Diesmal ist es der Schauplatz des Hauptkonflikts zwischen Martins und Lime, wo ihre Moralprinzipien aufeinander prallen. Da in einem Schwarz-Weiß-Film das Zusammenspiel von Hell und Dunkel immer signifikant ist, boten die großen Wände in der Innenstadt den expressiven Schattenspielen eine ausgezeichnete Kulisse, die die Spannung steigen ließ.

Einige weitere Schauplätze sind für die beiden Filme wichtig, etwa die Kirche Maria am Gestade. In seiner Zusammenfassung beleuchtete Herr Plener die gemeinsamen Punkte der Wiener Rundfahrten sowohl in den beiden Filmen als auch im Roman Leutnant Gustl von Arthur Schnitzler. So erhielten wir ein  umfassendes Bild über die Innenstadt von Wien.

Es steht außer Frage, dass der Workshop gut gelungen ist. Dank dieser drei Tage entdeckten wir Wien und vor allem die Ringstraße aus einer literarischen und cinematographischen Perspektive. Durch die ausführlichen Moderationen und die spannenden Diskussionen verschmolzen verschiedene Kunstarten aus verschiedenen Zeitaltern miteinander und fanden einen Platz nicht nur auf der Tagung zur150jährigen Ringstraße, sondern auch in unseren Herzen.

Die Programme gingen natürlich weiter! Anfang Oktober wurde die Thematik durch die Ringstraßen-Tagung abgerundet. Und wie immer war GeMa auch dabei!

/Ágnes Pavlicz/