Am 9. September 2014 kamen zahlreiche Linguisten nach Szeged, um auf eine außergewöhnliche Art Geburtstag zu feiern. Es wurde für Prof. Dsc. Péter Bassola ein Kolloquium im Gebäude der Szegeder Komission der Ungarischen Akademie der Wissenschaften organisiert, die Organisatoren waren Dr. habil. Ewa Vargáné-Drewnowska und Dr. Tamás Kispál.
Um 9:00 Uhr fingen die Eröffnungsreden an. Herr Bassola wurde von Prof. Dr. Gábor Szabó, dem Rektor der Universität Szeged, von Prof. Dr. Mihály Szajbély, dem Dekan der Philosophischen Fakultät, und von Dr. habil. Endre Hárs, dem Leiter des Instituts für Germanistik, begrüßt. In diesen offiziellen, dem bei solchen Anlässen gewöhnlichen Protokoll angemessenen Ansprachen herrschte ein freundschaftlich-persönlicher Ton, der auch im weiteren Verlauf des Tages blieb. Über den wissenschaftlichen Werdegang des Jubilars hinaus wurden seine allen bekannten persönlichen Eigenschaften hervorgehoben, wobei man auch auf seine Passionen wie das Radfahren eingegangen war. So erwähnte unser Institutsleiter die noch gültige Wette zwischen ihm und Herrn Bassola, mit dem Fahrrad von Szeged nach Budapest zu fahren, allerdings schlage er aus seiner Sicht eine kürzere Strecke vor. Die Reden, mit einer Prise Humor, lockten allen ein Lächeln auf das Gesicht.
Bevor das angekündigte Programm begann, hatten die Organisatoren für eine besondere Überraschung gesorgt. Frau Prof. Dr. Gisela Zifonun, eine langjährige Mitarbeiterin des Jubilars am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, sprach Glückwünsche der Mannheimer Kolleginnen und Kollegen aus
Nach den herzlichen Grußworten gab es selbstverständlich viele “linguistische Köstlichkeiten”. Das Vormittagsprogramm fing mit der linguistischen Betrachtung von loben und kritisieren an. Einige herauszuhebende Beispiele dafür aus Frau Professor Cathrine Fabricius-Hansens Vortrag: „Alle loben Péter Bassola u. A. dafür, dass er eine Reihe wichtiger Arbeiten zur Valenz publiziert hat. … Die Kollegen loben, dass P. B. sich intensiv für den germanistischen Nachwuchs eingesetzt hat. … Kann man P. B. dafür kritisieren, dass er in Budapest und nicht in Szeged wohnt? … Können wir P. B. als nicht streng genug kritisieren? … Manche kritisieren, P. B. sei ein viel zu guter Mensch.“ Diese Beispiele zeigen, dass sich im Raum nicht nur Linguisten, sondern auch Freunde versammelt hatten. Die Atmosphäre war voller Emotionen.
Das nächste Bonbon überreichte Professor Ludwig M. Eichinger in seinem Vortrag über das Thema „(Mehr-)Wertigkeit – Mehrwert(igkeit)”. Es wurden 18 Beispiele dafür angeführt, wie mehrwertig das Wort geben ist. Z.B.: geben = etwas verabreichen, etwas als Resultat haben, jemandem etwas gewähren, usw. Die Entscheidung, ob das Wort geben absichtlich gewählt wurde (um hervorzuheben, wie viel uns Herr Bassola gegeben hatte), bleibt dem Publikum überlassen.
Nach einer Pause konnten wir weiter „naschen“, und zwar die deutschen Dialekte in Ungarn. In dem Vortrag von Frau Prof. Dr. Erzsébet Knipf-Komlósi wurde erläutert, dass es unter den Ungarndeutschen verschiedene Dialektsprecher gibt: Deutsch-Pilsener, Schwaben; Rheinfranken, Donaubayern, Ostfranken, usw. Nach statistischen Angaben erklärten sich bei der Volkszählung im Jahr 2011 in Ungarn 38.248 Personen als deutsche Muttersprachler. Neben den Verschiedenheiten der Dialekte wurden uns Forschungsfragen und Perspektiven vorgestellt.
Den Vormittag schloss Prof. Dr. Gerhard Stickel mit seinem Vortrag über „Wörter und Unwörter”. Er sagte, das Präfix un– verändert die Bedeutung des Stammworts in sein Gegenteil: Glück > Unglück, Sinn > Unsinn. Unwort passt aber nicht in dieses Bedeutungsmuster, denn es ist nicht das Gegenteil von Wort. Unwort verhält sich zu Wort ähnlich wie Unmensch zu Mensch. „Ein Unmensch ist auch ein Mensch, doch mit schlimmen Eigenschaften. So sind auch Unwörter keine Nichtwörter, sondern solche Wörter, die man nicht mag.“ Was allerdings jeder mochte, war die Mittagspause, worauf der Nachmittagsteil des Kolloquiums folgte.
Im Anschluss führte uns Dr. Krisztina Molnár wieder in die Welt der Linguistik. Sie untersuchte die Infinitivkonstruktionen als Objekte im Deutschen, Italienischen und Ungarischen. Diese Konstruktionen umfassen zwei Konstruktionstypen, die sog. AcI-Konstruktionen (1) und die Objektsinfinitive (2), welche im Deutschen durch zu+Infinitiv-Konstruktionen ausgedrückt werden: (1) Ich sehe den Mann kommen. (2) Ich verspreche dir, pünktlich zu kommen. Im Vortrag wurden Erstergebnisse der Analyse präsentiert. Es wurde der Versuch unternommen, zum besseren Verständnis von AcI-Konstruktionen beizutragen.
Und weil alles einmal vorbei ist, gab es einen letzten Vortrag, der den Titel „Recycling und Substantivvalenz” trug. Prof. Dr. Vilmos Ágel präsentierte in seinem Vortrag wichtige Grundgedanken seiner (neuen) Textgrammatik. Dabei zeigte er, welche Rolle die Substantivvalenz bei der Interpretation von grammatischen Werten auf Mikro- (Wortgruppen-), Meso- (Satz-) und Makroebene (Textebene) spielen kann. Es wurde auch erläutert, wie durch diese Dreiteilung und die Neuinterpretation von Begriffen ambige bzw. problematische Strukturen adäquater analysiert werden können.
Das reichhaltige Programm war spannend und gleichzeitig sehr harmonisch, was nicht zuletzt den drei Moderatoren: den Herren Tamás Kispál, Péter Kappel und Dr. Andreas Nolda zu verdanken war, die freundlich-bestimmt die lebhaften Diskussionen nach den Referaten leiteten und die technischen Zwischenfälle gekonnt lösten.
Herr Bassola schätzte die Bemühungen und Arbeit seiner Kollegen und Freunde. Er bedankte sich am Ende des Kolloquiums bei allen, besonders bei seiner Frau, dass sie immer so verständnisvoll gewesen war, als er sehr viel am Arbeitstisch gesessen habe. Seine Gerührtheit und Freude konnte man in seiner Stimme fühlen.
So sieht also eine Geburtstagsparty bei Linguisten aus: überaus kurzweilig. Die Anwesenden konnten neue hochinteressante Informationen erfahren, wie z.B., dass Herr Stickels Meinung nach das schönste deutsche Wort Rhabarbermarmelade ist. Viele denken bestimmt, dass das keine große Sache ist (ung. Ez nem egy nagy vaszizdasz = was ist das.), die Anwesenden wissen aber Bescheid: Es ist Wissenschaft, Freundschaft und Humor in Form von mundgerechten Bonbons. Auch an dieser Stelle: Herzlichen Dank an die Organisatoren Frau Drewnowska und Herrn Kispál!
Informationen zu Herrn Bassolas Werdegang:
– Gründer und Leiter des Deutschen Programms der Linguistischen Doktorenschule (NYDI) an der Universität Szeged (SZTE)
– Professor am Institut für Germanistik (SZTE)
-1969: Gymnasiallehrerdiplom für Deutsch und Latein (erworben an der Eötvös Loránd Universität = ELTE)
– 1976: Promotion an der ELTE
– 1984: Verteidigung seiner zweiten Dissertation an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (= CSc, i. e. Candidatus Scientiarum)
– 1995: Habilitation (ELTE)
– 2008: Erlangung des wissenschaftlichen Titels Doktor der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (DSc)
– Haupt-Forschungsgebiete: deutsche historische Linguistik, Syntax, kontrastive Linguistik, Valenzforschung, vor allem Substantivvalenz, usw.
Fotos: Samantha Kokolovec