Ein Erfahrungsbericht
Wer Medizin studiert, wird Arzt; wer Jura studiert, wird Anwalt oder Richter. Bei den meisten Geisteswissenschaften ist die Sachlage nicht ganz so eindeutig, wie wir wissen. Nicht umsonst titelte DIE ZEIT: „Geisteswissenschaften – Grund zum Heulen?“* Wer Germanistik studiert hat, arbeitet später vielleicht als Lehrer, Journalist, oder – wie böse Zungen mutmaßen – als Taxifahrer. Darüber hinaus wird dieses Fach oft mit anderen Studienrichtungen kombiniert, wodurch sich besonders individuelle Profile ergeben können. Meine Antwort darauf? Zwei Buchstaben: PR!
Ich studiere in Göttingen Germanistik und Politikwissenschaft und habe gerade in einer Münchener Agentur erste Erfahrungen in der PR-Branche gemacht. Unter Öffentlichkeitsarbeit bzw. PR versteht man grob gesagt das Management der öffentlichen Kommunikation einer Organisation (Unternehmen, Verein usw.) mit ihren jeweiligen Zielgruppen wie etwa Kunden und Mitarbeitern. Ziel ist es, die Bekanntheit und die Reputation der Organisation zu steigern und damit letztendlich einen Mehrwert zu schaffen. Inwiefern konnte mir mein Germanistikstudium dabei bisher helfen?
Bin ich besser in PR, weil ich weiß, was ein Glottisverschlusslaut ist oder wie viele verschiedene Möglichkeiten es gibt, Kafkas „Der Prozeß“ zu interpretieren? So spannend das auch sein mag, bringt mich dieses Wissen leider nicht unbedingt weiter. Was mir wirklich hilft, ist nicht das Fachwissen sondern vielmehr die Sprachkompetenz: Das Gefühl für die Sprache, das man erlangt, wenn man sich so viel mit dem Deutschen auseinander setzt, wie es Germanistikstudierende tagtäglich tun (sollten).
Zu den Aufgaben eines PR-Beraters gehört es unter anderem, verschiedenste Texte zu verfassen. Das können Pressemitteilungen sein, Blogbeiträge, Fallbeispiele oder in Zeiten der sozialen Netzwerke auch immer häufiger „Tweets“ für Twitter oder Posts für Facebook. Dabei ist es oft wichtig, Sachverhalte präzise auf den Punkt zu bringen. Ein Tweet darf aus nicht mehr als 140 Zeichen bestehen – nicht viel Spielraum, um seine Leser zu begeistern. Auch bei einer Pressemitteilung muss der Verfasser genau abwägen, welche Information wie wichtig ist, denn die Relevanz von Aussagen bestimmt, wo sie im Text stehen. Außerdem müssen verschiedenste Schreibstile bedient werden können: Ein lockerer Blogbeitrag muss genauso gelingen wie der sachliche Stil einer Pressemitteilung.
Grundsätzlich ist es in der Öffentlichkeitsarbeit gut, auch einige Erfahrung im journalistischen Bereich mitzubringen, da man viel mit Redakteuren zusammenarbeitet. Dabei haben mir zum Beispiel die textlinguistischen Veranstaltungen über die „Textsorten der Presse“ geholfen, die ich im Rahmen meines ERASMUS-Studiums an der Szegeder Universität besucht habe. Es kann nämlich durchaus vorkommen, dass man etwa für eine Fachzeitschrift ein Interview durchführen und ausformulieren soll – da ist es schon von Vorteil, wenn man sich mit den Charakteristika eines Interviews schon einmal beschäftigt hat. Das Schreiben der verschiedenen Texte lernt man dann am besten „on the job“, also durch die praktische Erfahrung. Das Sprachgefühl kann einem dabei vieles erleichtern.
Auch bei der Übersetzung von englischen Pressemitteilungen oder anderen Texten in die deutsche Sprache ist es wichtig, sich auf seine Sprachkenntnis verlassen zu können: Das Ergebnis soll schließlich authentisch klingen.
Zusätzlich zu den spezifischen Qualifikationen von GermanistInnen kommen auch noch die Kompetenzen hinzu, die GeisteswissenschaftlerInnen eher erlernen als Studierende anderer Fachrichtungen. So gehört Recherche ebenso zum PR-Alltag wie das Einarbeiten in neue, manchmal völlig fremde Themengebiete. Vor allem in PR-Agenturen, die mehrere Kunden aus unterschiedlichen Branchen vertreten, wird man mit fachfremden Themen konfrontiert. Dann kommt es darauf an, sich über das jeweilige Gebiet schnell einen Überblick verschaffen zu können und die Zusammenhänge zu erfassen – Dinge, die vor allem GeisteswissenschaftlerInnen in ihrem Studium lernen.
Die PR-Branche bietet für GermanistInnen also durchaus Möglichkeiten, ihre erlernten Fähigkeiten anzuwenden. Es lohnt sich für uns Studierende, sich früh mit den Berufsmöglichkeiten für Germanistikstudenten auseinanderzusetzen und auch Berufe in Betracht zu ziehen, in denen man das erlernte Fachwissen vielleicht nicht direkt anwenden kann. Wir sollten uns bewusst machen, welche Kompetenzen wir noch mitbringen – und wie wertvoll diese Fähigkeiten für unseren zukünftigen Arbeitgeber sein können.
* http://www.zeit.de/campus/2009/05/geisteswissenschaften-heulen
Quelle des Fotos: Twitter