In einen Theaterfreund verwandelt

Autor: Balázs Kovács

Zeitung: 2013/2

Rubriken: Freizeit, Germanistik, Kultur

In fast allen Gymnasien ist Franz Kafkas Verwandlung eine Pflichtlektüre. Fragt man spontan jemanden, welche Werke er von Kafka kennt, dann ist als erste Antwort wahrscheinlich von dieser Erzählung zu hören. Es hat sich in der nahen Vergangenheit bewiesen, dass es sich auch lohnt, dieses Werk auf die Bühne zu bringen.

Am 26. November hatten die StudentInnen unseres Germanistischen Instituts die Möglichkeit, im Rahmen eines Theaterbesuchs nach Szekszárd zu fahren, um eine Aufführung der „Deutschen Bühne Ungarn“ anzuschauen. DBU1

Dieses Theater ist „das einzige professionelle deutschsprachige Theater Ungarns und Theater des Komitats Tolnau“ – steht auf ihrer Webseite (http://www.dbu.hu). Die Deutsche Bühne will und wollte schon immer die Verständigung zwischen den Ungarn und den Ungardeutschen fördern und hat außerdem durch die Vermittlung kultureller Werte auch das Ziel, der deutschen Minderheit eine Vergnügungsmöglichkeit zu bieten. Unter diesem Zeichen kam auch diese Aufführung auf die Bühne.

Franz Kafka ist in diesem Jahr auch deshalb in den Vordergrund geraten, weil 2013 sein 130. Geburtsjahr ist. Er ist der Künstler der Einsamkeit, der Isolation, in allen literarischen Lexika steht er als Begriff für diese Gefühle. Er ist fähig, die Leser in Welten zu führen, in denen sie diese Gefühle unheimlich realistisch dargestellt erfahren können.

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Gregor Samsa, der bisher hart für seinen Vater, seine Mutter und seine Schwester gearbeitet hat, um die früheren Schulden des Vaters zu bezahlen, wird durch ein „Deus-ex-machina“ lahmgesetzt und kann nicht mehr arbeiten. Das Sujet des Werkes stellt den Prozess dar, wie sich die Haltung der Familie gegenüber Gregor verändert. Am Anfang kommt das Erschrecken, später die Abfindung, und schließlich „muss er weg“. Das Tragischste an dieser Aussage ist, dass sie von seiner Schwester kommt, die sich am meisten um ihn gekümmert hat.  Inzwischen verändert sich auch Gregor selbst und wird menschlicher denn je…

In dieser Aufführung war es auch nicht anders; obwohl einige Elemente der ursprünglichen Erzählung notgedrungen „verwandelt“ werden mussten, war die Emotionswelt, die die Aufführung darstellte, ähnlich. Das Werk ist von den ersten Sätzen an sehr depressiv. Die während der Aufführung gespielte Musik, die Einrichtung der ganzen Bühne hat dieses depressive Gefühl vermittelt. Die letzte Szene lohnt sich, hervorgehoben zu werden, um dies zu veranschaulichen. Es wird visuell dargestellt, wie die „Reste des Ungeziefers“ aus dem Haus entfernt werden. Während die ganze Familie sich auf einen Ausflug vorbereitet, scheinen sie im kindischen Glück zu sein, ohne darüber Bescheid zu wissen oder eben wahrzunehmen, dass in diesen Minuten die Dienerin gerade die einzelnen blutigen Körperteile der zerstückelten Leiche Gregors gerade in einen Eimer packt. Diese ganze Szene wirkt noch eindringlicher, als die Dienerin mit ihren blutigen Kleidern erscheint, über den Zustand der Arbeit berichtet und dann geht, das Aufräumen fortzusetzen. Man glaubt einfach nicht, wie die Familie diese Zeit so einfach vergessen kann. Einen Einblick können die Leserinnen und Leser in die Gestaltung der Bühne und in die ganze Aufführung durch den „Trailer“ (http://www.dbu.hu/repertoire/die_verwandlung) auf der offiziellen Webseite gewinnen. Diejenigen narrativen Teile, die sonst nicht zur Bühne hätten gebracht werden können, wurden durch Monologe ersetzt. Gregor hatte eine innere Stimme, wir haben seine Gedanken gehört, dadurch konnten wir seiner zweiten Verwandlung, in der er als ein Käfer menschlicher wird als je, mitverfolgen und erleben. Das hatte natürlich auch seine dunkle Seite: Der Monolog am Ende brachte explizit einen entschlossenen Selbstmord Gregors zur Sprache. Das hat leider die Möglichkeiten der Interpretation eingeschränkt.

Erwähnenswert ist die Weise, wie die Veränderungen der Charaktere dargestellt wurden. Sie wurden viel expliziter abgebildet als es im Werk ursprünglich war. Dieser Effekt trug zur Erhöhung der kathartischen Wirkung der Aufführung bei. Am Vater war es am besten zu sehen; aus dem nervösen, verletzten, aggressiven Mann wurde ein das Leben bejahender Vater und Ehemann, der sich voll und ganz seiner Familie widmet. Die Dramatik wurde nur an einer Stelle gestört: in der Szene, in der der Mieter vertrieben wird, ist sein Charakter komischer geworden als die Welt von Kafka. Diese Art von Humor war keine Groteske, passte zur Stimmung einer solchen Aufführung also nicht ganz.

Die Regie ist mit dem Namen von Árpád Sopsits zu verbinden. Er stellte schon mehrere Prosastücke auf die Bühne. Dostojewski und Gogol sind nur zwei von diesen. Die Verwandlung aber war für ihn die erste deutschsprachige Adaptation. Er teilte mit, dass er versucht hat, der speziellen Sprache Kafkas treu zu bleiben. Wichtige Sätze und Ausdrücke wurden aus dem ursprünglichen Werk auf die Bühne gebracht, das Wort „Ungeziefer“ kam auch mehrmals vor. Dieses Wort hat hier eine besondere Bedeutung; auf der Bühne wird Gregor schon vor der Verwandlung ein Ungeziefer genannt. Das Wort kommt wohl aus dem Althochdeutschen und bedeutet unreines Tier, das nicht geopfert werden darf. Am Ende der Aufführung wird er wieder so genannt.

Nach der Aufführung, in die Wirklichkeit, in unser eigenes Leben zurückgekehrt, bekam uns vor der Rückfahrt noch ein Glas Szekszárder Wein sehr zum Wohl, um uns über das Gesehene auszutauschen …

Einige weitere Informationen zur Aufführung findet Ihr außer auf der offiziellen Webseite der Deutschen Bühne auch in diesem Artikel: http://szinhaz.hu/index.php?option=com_content&view=article&id=50558:kafka-darabot-rendez-szekszardon-sopsits-arpad&catid=3:videk&Itemid=75

/Balázs Kovács/