Veranstaltungen des Lehrstuhls für österreichische Literatur und Kultur
In diesem Block werden Berichte über die Veranstaltungen des österreichischen Lehrstuhls veröffentlicht. Unser erstes Thema ist der von Dr. Attila Bombitz moderierte Vortrag „Nationalgefühl hat man, wenn man sich für seine Nation schämt. Zur Problematik des Vaterlandshasses in der österreichischen Literatur.“ von Dr. Marta Wimmer.
“Österreich ist ein rein imaginärer Name”
– meinte im 19. Jahrhundert ein österreichischer Politiker.1 So ist es gar nicht überraschend, dass der Vortrag der polnischen Germanistin Dr. Marta Wimmer am 17. September sich mit der Frage der österreichischen Identität und dem Vaterlandshass auseinandersetzte. Zwar ist das 19. Jahrhundert schon lange her, aber die österreichische Gegenwartsliteratur beschäftigt sich immer noch mit diesem Problem.
Als Beispiele führte die Referentin Autoren wie Hans Lebert und Elfriede Jelinek auf. Ihre Romane Die Wolfshaut (Lebert) und Die Kinder der Toten (Jelinek) arbeiten die Frage der österreichischen Identität nach der Kriegszeit und die Problematik der “noch nicht begrabenen Vergangenheit” auf. Hier zeigt sich besonders gut ein eher ungewöhnliches Gefühl, die Hassliebe. Nach Meinung der Vortragenden charakterisiert diese ambivalente Einstellung zum Vaterland keine andere Nationalliteratur so stark wie die österreichische. Die Schriftsteller schimpfen ständig über dieses Volk, Jelinek ruft es sogar zum Mörder aus. Doch man kann auch immer etwas Positives, die Liebe zur eigenen Heimat fühlen.
Am Ende des Vortrags wurde uns trotz all dieser Negativität klar, dass es in diesen Werken nicht um Vaterlandshass, vielmehr um Vaterlandsliebe geht. Die Autoren verwenden das Mittel der Beschimpfung, um die “lebendig toten” Österreicher zu erwecken und so zu verhindern, dass die schuldhafte Vergangenheit zurückkehrt.
Dr. Marta Wimmer ist Assistentin des Germanistischen Instituts der Universität Adam Mickiewicz in Poznań, mit dem unser Institut im Rahmen des Erasmus-Programms enge wissenschaftliche Kontakte pflegt. Zur Zeit ist sie Franz Werfel-Stipendiatin.2
1: Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
2: http://www.oead.at/werfel
/Katinka Rózsa/
„Horváth ist besser als Brecht“
Vortrag zur Kurzprosa von Ödön von Horváth
Am 01.10.2013 hielt Prof. Dr. Kurt Bartsch an der Universität Szeged einen Vortrag mit dem Titel „Beobachtungen zu erzählender Kurzprosa von Ödön von Horváth“.
Nach einem kurzen Vorwort von Herrn Dr. Attila Bombitz begann Herr Bartsch seine Ausführungen, indem er einige Meinungen bekannter Persönlichkeiten zu Ödön von Horváths Werk zitierte. Zum Beispiel Peter Handke, der sagte: „Horváth ist besser als Brecht.“ Im Folgenden erläuterte er anhand der Sportmärchen die Besonderheiten von Horváths Kurzprosa. An Beispielen wie Legende vom Fußballplatz und Wintersportlegendchen zeigte Bartsch, dass der österreichisch-ungarische Autor bewusst mit den Gattungskonzeptionen spielt, indem er sie einerseits einhält und sie andererseits auf markante Weise durchbricht. Des Weiteren wird Horváths Kritik am Sport als neuem Kult und der Verdinglichung des Menschen durch den Sport in diesen Texten besonders deutlich.
Danach ging Bartsch auf den Text Das Märchen in unserer Zeit ausführlicher ein und zeigte abermals das Durchbrechen und Einhalten des Genretypischen. Danach stellte er die Eigenschaften vor, die laut Viktor Žmegač die Kurzprosa Horváths treffend beschreiben: Der diffuse Diskurs, ein forcierter Lakonismus, eine aperspektivische Anlage sowie ein infantilistischer Stil und eine maskenhafte Rede.
Anhand des kurzen Textes Lachkrampf wurde dann Horváths Kritik am „Spießbürgertum“ deutlich gemacht, das er mit seinem analytischen Blick betrachtet. Ebenfalls wurden die Texte Souvenir de Hinterhornbach und Wie der Tafelhuber Toni seinen Hitler verleugnet hat vor diesem Hintergrund näher beleuchtet. In ihnen zeigt Horváth die Makel der scheinbar idyllischen Provinz.
Eine wichtige Technik, die in den kurzen Texten immer wieder zum Tragen kommt, ist die sog. „Demaskierung des Bewusstseins“ und die damit einhergehende komplexe Einfachheit von Horváths Kurzprosa.
Nach einem kurzen Nachwort von Herrn Bombitz beantwortete Herr Bartsch noch einige Nachfragen aus dem Publikum.
/Katharina Deppe/
Österreichische Literatur der 1990er Jahre
Eine Momentaufnahme
„Wo war er? In welchem Land war er jetzt? War er noch in Österreich? Er befand sich doch in Deutschland!? Oder befand er sich noch in Österreich? Er hätte am liebsten laut gerufen: ‚Bin ich in Österreich?‘ Oder befand er sich nicht mehr in Österreich? Ihm wurde leicht schwindlig. War dieser Boden hier österreichischer Boden? Dieser Baum ein österreichischer, ein deutscher, ein bayerischer? Der Himmel über ihn ein österreichischer?…“
Am gleichen Tag hielt Dr. Kurt Bartsch noch einen zweiten Vortrag. Wie wir es auch am Titel und am Zitat sehen können, knüpft sein Vortrag thematisch sehr eng an den von Dr. Marta Wimmer an. Sein Schwerpunkt war nämlich das Österreich-Narrativ: Eine kritische Auseinandersetzung mit der österreichischen Geschichte und Politik.
Herr Bartsch hat bei beiden Vorträgen auch Handouts ausgeteilt. Betrachten wir diese besonders im Hinblick auf die ausführlichen Literaturlisten, so können wir sehen, dass der Vortrag sehr umfassend war. Von Beginn des 20. Jahrhunderts an konnten wir die die Autoren beeinflussenden Ereignisse beobachten: So bekamen wir letztendlich auch eine Momentaufnahme der 1990er Jahre, die den Schwerpunkt des ganzen Vortrags bildete. Aber der Vortrag nahm hier kein Ende: Der Vortragende führte auch ein aktuelles Beispiel aus diesem Jahr an und somit wurde unser Bild des Österreich-Narrativs erst vollständig.
Auch in dieser zweiten Präsentation wurde die Problematik der österreichischen Identität angesprochen: Die Grenzsituation, die dieses Volk besonders stark charakterisiert. Diese malte Herr Bartsch besonders gut mit obigem Zitat aus dem Roman Das steinerne Meer (Clemens Eich, 1995) aus. Es stellt die eigentliche Verlorenheit und schwankende Identität der Österreicher und des Landes Österreich selbst dar. Mit der Erzähltechnik des Gegennarrativs nehmen die Autoren wie Eich und auch Elfriede Jelinek1 den eingeschränkten Horizont Österreichs in ihren Werken eher negativ wahr, sie sagen sogar, dass dieses Land kein Raum für lebendige Menschen sei. Im Krimi Die Debütantin (Sabina Naber, 2005) taucht auch die Beschreibung der Zerrissenheit auf: Das Gefühl, dass die Österreicher zu nichts wirklich gehören.
Anhand der Fragen von Herrn Bombitz, Herrn Hárs, Herrn Csúri und Frau Szabó entwickelte sich am Ende eine kleine Diskussion. Hier wurde unter anderem gefragt, ob die österreichische Literatur etwa durchpolitisierter sei als die deutsche oder die ungarische. Als Konklusion betonte der Referent, dass er nur einen Aspekt der österreichischen Literatur darstellt, das Gegennarrativ charakterisiert natürlich nicht das ganze literarische Leben in Österreich und so ist es vielleicht auch nicht mehr von der Politik beeinflusst als andere Literaturen.
/Katinka Rózsa/
1Die Kinder der Toten